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Vom 5emmcring bis zur
dreihlindcrtsechzig Fuß lange Brücke bei Steinhaus, und der Semmcringbau, dieser gewaltige Sieg des inenschlichcn
Geistes und Fleißes, liegt hinter uns ^ wir sind eingezogen in die grüne Steiermark.
Lusti wulauf Bin a lustiga Bua,
Is da schdeirafchi Brauch; Los in Duifl ta Rua,
A diaggascha Schdeaz Ļd d'Eiiqerln in tzimel.
And a Schwomsupn drauf! Däi lochn dazua!
Ihr versteht es nicht? Das ist ja steirisch. — Lustig wohlauf ist der steirische Brauch! Bin ein lustiger
Bursche, laß dem Teufel keine Ruh! — Ein kecker Junge fingt's oben an der „Räuberhöhle" bei dem Alpcudurfe
Spital. Die Räuberhöhle ist ein Felsenluch, ein Vicrtelstündchen ober dem Bahnhofe. Da hätten vor Zeiten die
Straßenräuber ihre Schätze verborgen, die sie den Reisenden auf der Heerstraße abgenommen. Erwiesener ist, daß
zur Türkcnzeit die Bewohner der Gegend mit ihrer Habe sich vor dem Feinde in diese Höhle geflüchtet haben. Vor
Kurzem befand sich am Eingänge noch eine eiserne Thür, welche heute die Sakristei der Spitäler Kirche bewacht.
Schon in alten Zeiten, da in diesen Bergen noch die tiefste Nildniß war, führte die Straße nach Italien über den
Eemmering. Da ließ im 14. Jahrhundert ein steirischcr Herzog mitten im Urwaldc ein Hospiz, damals Spital am
Hcrrenbergc genannt, erbauen, aus welchem das heutige Spital am Scmmering entstanden ist. Zur Sommerszeit
wimmeln in diesem Alpenthalc die Wiener, steigen auf die schönen Berge Stuhlcgg und Kamp nnd horchen den
übermüthigen Liedern der lustigen Aelplcr. ^ „Scids lusti!" ist ihr Sprichwort, „mir kema so jung ncama zsomm!" und:
„Get nui sunstn nix o, D» himlischa Voder,
Wir a Muhl and a,Nod, Af da Welt wars wul z'bleibu.
Wir a Haus and a Feld, ^anc, nur aniol a holbi Schdund
And a Tirndl mit Geld, Zwoanzga tad fchneibn."
Blutarm und kreuzlustig! so sind die Bergbewohner; die Gegend von Spital bis Mariazcll besonders ist
bekannt als das lebensfreudige österreichische Arkadien.
Benutzen wir die Südbahn noch bis zur nächsten Station Mürzzuschlag. Hier verlassen wir sie, um nach
einer langen Fußwanderung über Berg und Thal weit unten im Wcndcnlandc wieder mit ihr zusammenzutreffen.
Der alte Ort Mürzzuschlag — wo die Mürz zur Rcichsstraße schlagt — liegt an der Ausmündung dreier
anmuthsreichen Thäler und ist ein Tummelplatz der Wiener. Schöne Spaziergänge schlangeln sich in die Berge und
Ncbenthälcr, wovon einer zur interessanten Tropfsteinhöhle führt. Ein in das Thal vorgeschobener Felskupf, der Gans-
stein , bietet eine prächtige Aussicht auf den Flecken, in das waldreiche Mürzthal und in die Fclsengruppe von Neuberg.
Die Geschichte vom „Gansstcin-Michel" ist weit und breit bekannt. Der Gansstein-Michel, das ist ein
buckeliges Mannlcin, welches tief im Felsen des Gansstcin wohnt und unmeßbare Schätze bewacht. In der Christnacht
könnte man den Eingang finden. Ta ist in dieser Nacht einmal eine Bäuerin mit ihrem Kinde gegen Mürzzuschlag
zur Mette gegangen. Und als sie am Gansstcin vorbei kommt, denkt sie: Schau, Mirzel, eine schürzenvull Geld
wär' nicht zu verachten! und geht tief in die Felsenhöhle hinein. Ein großer Karfunkel beleuchtet die Nacht; ein
schwarzer Hund fitzt da und knurrt; der Michel kauert auf einem Stein und schläft; die Fässer, die in langen Reihen
stehen, sind voll von Gold und Edelgeftein. Das Weib setzt ihr Kind auf den Boden, faßt in die Schürze was
Platz hat, füllt die Kittelsäcke und die Strümpfe und eilt jauchzend über ein solches Glück davon. Als sie wieder
auf der Straße ist und den Sternenhimmel sieht, denkt sie an ihr Kind. Das hat sie in der Höhle vergessen. Sie
eilt zurück, kann aber den Eingang nicht mehr finden, und weder sie noch ihre Nachkommen haben ihn bis heute
gefunden. — Wer aber zur stillen Mitternachtsstunde am Gansstein vorübergeht, der soll heute noch das Kind schreien
hören. Oder ist es die Stimme des Herzens, daß man über alles Gold und Edelgcstein der Welt des bluteigencn
Kindes nicht vergessen soll? —
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918