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Landstraße und Eisenbahn laufeil in größerer Eintracht, als das sonst zwischen Eoumrreuteu der Fall zu
seiu pflegt, über die freundlichen Matten des Mürzthales mittägigeu Landstrichen zu. Wir uehmen die Richtung
uach Norde», rüste» uus mit Bcrgschuh uud Bergstock uud ivauder» im schattenreichen Alpenthalc der klaren,
forellcnreichcn Mürz entgegen. Die Leute, die uns begegnen, bieten uns treuherzigen Angesichtes einen guten
Tag. Es sind zumeist Waldarbeiter in stcirischcr Tracht. Derbe, hohe, eiscnbeschlagene Bundschuhe, grüne oder
auch blaue Strümpfe, die strammgcspannt über die sehnigen Waden reichen; kurze Hirsch- oder Gainskder-
hosen, die nur bis zu den Knieen niedergehen (zwischen Hosen und Strümpfen am Kniegelenke schimmert das weiße
Beinkleid hervor, oder — besonders in der Ennsthaler- nnd Ausscergcgcud — gar das nackte Knie), dann
eine graue Tuchwcste mit Hirschhurnkno'pfen und einem silbernen lll)rgehänge, an welchem bisweilen anch ein
durchlöcherter Mariathcrcsieuthalcr
baumelt; oder ein rother Brust -
flcck mit dem grimm, kamcel-
härencn Hosenträger darüber, ei»
buntes, loseflattcrndes Halstuch
nm den Hemdkragen; eine grane,
grünbrränderte Lodcnjacke, die zur
Sommerszeit nur über die Achsel
geworfen ist, so daß die weiten,
aber vorne cnggcknöpftcn Hemd-
ärmel frei sind, und endlich ein
Filzhut mit einem breiten grünen
Bande, eine Gamsbartborste dran
oder eine kecke Hahnenfeder; an
den Lenden rechts im Bcinkleide
Mürzuschiag, ein Mcsscrbcstcck, im Munde ein
kurzes Pfeifchen, — so steht der
Obcrstcircr da. Sein offenes Gesicht, von Alpenwindcn stets gefegt,
ist ranh und gebräunt uud trägt häufig einen gekräuselten Backen-
nnd borstigen Schnurbart, der, wenn der Mann beim Militär war, in zwei scharfen Hörnchen aufgedreht ist.
Die schlichteu, häufig blonden Haare werden etwas tief über die Stirne hcrabgcwischt. Junge Burschen haben
trotz Wind und Wetter oft auch ein so feines, zartes nnd weißes Gesicht, wie Stadtjünglingc, nur daß sie eben
viel zäher uud sehniger sind.
Die Weiber tragen ziemlich kurze, gewöhnlich blaue oder branne Kittel, nntcr welchen niedere Bundschuhe
uud eiu gutes Stück der weißwollcncn Strümpfe hervorlugcn. Ferner eine blaue oder kleingeblümte Schürze, welche
bei den Mädchen nur einen schmalen Streifen bildet, bei älteren Weibern aber so breit ist, daß sie rückwärts zusammew
langt. Ueber die Brust wölbt sich ein ziemlich breit ausgeschnittenes Lcibcl, über welches ein buntes, an hohen
Feiertagen rothscidcncs Halstuch und ein kurzer schwarzer Spcnser mit pulsterig auswattirtcn Aermcln kommt. Ein
brauucs Kopftuch, welches rückwärts zusammengebunden wird. vollendet den schmucken Anzug der Obersteirerin. Die
hochgcstülptcn, mit Sammt überzogenen, mit Gold rcichgczicrtcn Drahthauben, die so malerisch und so abenteuerlich
waren, sind nicht mehr in der Mode.
Unsere Straße führt unter Wäldhängen und an Wicsenrändcrn hin. Unter Wcidenbüschen rieselt die Mürz,
in den Blumenkelchen funkeln Thautropfcn; gerade vor nns, hoch über sonnigen Tannenwipfeln blauet das Gewände
der Nrubergeralpcn.
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918