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Der hohe Schwab. 1<H
obere Rand dicfcs Luftkrciscs ist pnrpurroth, dauu kommt grünlich und blau, dann verschwimmt es in das Dunkel,
das noch auf der Erde liegt. Dieser Farbentrcis bildet die Grenze zwischen Tag und Nacht, und je höher die
Tonne steigt über den mährischen Landen, desto tiefer sinkt das Purpurrund, bis es nach und nach die Spitzen der
Berge berührt. Da leuchten die Häupter roth in stillem Feuer, da wird es golden-sonnig hin über das weite
Alpcnland.
Im Anblicke solcher Grüße ist man still, wie die Steine ringsum und das unvergleichliche Bild zieht ei»
in das Mcrhciligstc der Seele znm ewigen Andenken. —
Wir sehen das Leuchten der Karawankcn, das Glitzern der Donau und das Morgcnglühen des Großgluckner.
Die Schilder des dreizackigen Dachstein blinken nns zn; das wilde Heer der Ennsthaleralpcn reckt seine unzähligen
Riesen- nnd Greiscnhäupter, mit Kronen uud Diademen geschmückt, empor zum Hochschwab, wie Patriarchen der
Vorhölle zum Allvater schauen. Wer wollte all die Berge nnd Thäler mit Namen nennen? Der Pedant. Nicht wie
sie heißen, sondern wie sie s ind, ist auch bei den Bergen die Hauptsache. Vom Schwab aus ist die Hautrelieftarte
der Steicrmark zu sehen. Ein Meer von unzähligen Vergkämmen und Spitzen, aber wegen der breiten Unterlage
des Hochschwab sieht man kein Thal, keine menschliche Ansicdlung.
Gegen Osten steile Wände, große Kessel und Schluchten, die auch im Sommer mit Schnee gefüllt sind. Die
westlichen Höhen ähneln dem Karst. Das Gebirge ist wasserarm.
Abstiege finden sich an allen Seiten. Jenen möchte ich aber nicht anrathen, den ich einmal wählte hinab
in die Tullwitz. Es war der Rothgang. Des fortwährenden Kletterns im Gestein müde, wollte ich, um auf besseren
Boden zu gelangen, eine Schnecmuldc überschreiten. Die Schncclchnc war aber steil und wohl an zehn Klafter breit.
Dazu war sie hart gefroren und von einem aufrechten Gehen darüber konnte keine Rede sein. Mehr liegend alc>
lehnend, mit den Stiefelabsätzen Haltgrnbcn in den Schnee hauend, wollte ich mich hinüberhclfcn. Um aber mit den
Füßen Gruben schlagen zu können, mußten die Hände einen Halt haben nnd zu diesem Zwecke bohrte ich den Stock
senkrecht in den Schnee, was einen guten Anker gab. Abwechselnd so mit den Füßen nnd mit dem Stocke vorgreifend,
kam ich eine Strecke weiter. Doch wnrde der Schnee gegen die Mitte der Mulde hin immer härter und steiler nnd
endlich vermochte ich kanm mehr den Eisenstock, geschweige die Stiefelabsätze erklecklich genug einzubohren. Dazu mußten,
nin nicht ins Rntschcn zn kommen, größere Bewegungen vermieden werden. Die Schnccmulde war lang und endete
an einem Abgrund, dessen Tiefe von oben gesehen nicht ermessen werden konnte. — Ich blieb eine Weile ruhig sitzen
und rastete. Ich sah, es war unmöglich, in der bisherigen Weise die Lehne zn übersetzen, aber — weil ich mich
nicht verkehren konnte — auch unmöglich, den Rückweg zn ergreifen. In dieser Gefahr fühlte ich plötzlich eine
seltsame Wärme in mir. Die Alpcnnatur, die ich all meiner Tage so sehr geliebt habe, sie will mich jetzt verderben? —
Zornig sprang ich anf und mit einigen raschen, weiten Sätzen quer abwärts dein Tandufcr zu wollte ich mich
retten. Der vorletzte Schritt glitt aus, ich fiel und glitt rasch hinab. Lustig ging's, denn ich sah, es war gewonnen;
knapp am Abgrunde rutschte ich zwar vorbei, aber auf den Sand hinaus nnd auf diesem ciue Weile dahin. Glücklich
nnten angekommen, sah ich den Abgrnnd, in welchem die Tchncemulde ausmündete; es war eine erklecklich hohe
Wand, an der das „Martcrtafcrl" eines Verunglückten die Romantik der Gegend nnr noch erhöht hätte.
Einen so waghalsigen Abstieg wollen nnr nicht nehmen; lieber gehen wir über die weichen Matten der
Speilböden dahin und am Brandstcin, der scharf und steil wie ein Kirchcndach aufragt, vorbei ins Eisenerzcrthal
hinab; oder wir steigen rechts nieder in die wilde Einsamkeit der sieben Seen nnd nach Wildalpen.
Das Dorf Wildalpen an der Salza ist einer der schönsten Rnhcpnnkte anf unserer Wanderung. Die Umgebung
ist tief romantisch und hat herrliche Waldknlturcn nnd schöne Almwirthschaften. Ein großes Gasthaus bietet guten
Comfort. — Durch eine schauerliche, von Wasser dnrchtuste Felscnschlucht führt nns ein Saumpfad über die Eiscn-
crzcrhöhc znm Leopoldsteincrscc, der zwischen einer fast senkrechten Felswand nnd einem freundlichen Waldbcrgc hin-
gegossen liegt. Gar merkwürdig ist dieser grüne, sehr tiefe Alpensce bei Regcnwetter, wo plötzlich Strömlingen anf ihm
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918