Seite - 23 - in Unser Vaterland - Steiermark und Kärnten
Bild der Seite - 23 -
Text der Seite - 23 -
Die <3nnsthaler-Alpen, 23
Und als ich nach Jahren wiederum kam in die Wildniß, die mit steinernem Ernste so lange der mensch-
lichen Kultur getrotzt hat, da glitt ich in einem Glassalon, auf rothsammtnem Sitze ruhend, unter den
Füßen einen hellbluinigen englischen Tcppich, vor mir einen venezianischen Wandspiegel — durch die schauerlichen
Felsenschluchten.
„Ach, diese Eisenbahnen!" gähnte ein Reisender neben mir, „die haben die Poesie des Reisens total zu
Grunde gerichtet."
„So?" sagte ich.
„Nicht?",, fuhr er auf und wies mir seine Fahrkarte, „da sehen Sie den Frachtschein, ein paar Colli sind
wir, ich und Sie, ein paar gestempelte, aufgeladene und weiter zn befördernde Colli. Und dieser meineidige Kohlen-
gestank und dieses gottvergessene Pfeifen der Lokomotive! Herr, da lobe ich mir das Posthorn!"
„Das Posthorn allerdings, ich lobe es auch, wenn es gut geblasen wird. Nur fürchte ich, lebten wir noch
in den Zeiten des Posthorns, wir heute beide daheim bei Muttern säßen. Am Posthorn hing nämlich auch der
Postillon, der wenig blies, aber viel fluchte. Und der Postillon saß auf einem Karrenkas.cn, der mit den verehr-
lichen Reisenden bei jedem
Stein und bei jeder Wasser-
auskehre Fangball spielte.
Und an diesem Wagen
holperten oft ein paar
Mähren, deren Wohlgeruch
nicht von Jedermann dem
der Steinkohlen vorgezogen
wurde. Dann die Post-
meistcrwirthschaft! — Herr,
das war ein Reisen, auf
dem man Du und Du
wurde mit den Heiligen Vlick in das Tdal bei Hiefla». Gottes, die gerädert und
geschunden worden sind."
„Aber," sagte mein
Partner, „das werden
Sie doch zngebcn, daß
der Reisende damals Muße
hatte, das Land zu be-
schauen, während er heute
an den schönsten Gegenden
vorübcrfliegt."
„Station Hieflau!"
rief der Schaffner. —
Wir dehnten uns auf
unseren Sitzpolstern und fuhren weiter. „Ganz recht," sagte ich, „an den schönsten Gegenden stiegt man vorüber.
Doch ist unser Zug hier drei Minuten still gestanden; wir hätten aussteigen und eine Partie nach Eisenerz und dem
Leopuldsteincrsee machen können. Daß wir sitzen bleiben, wer trägt die Schuld?"
„Pah!" entgegnete mein Mann, „wer wird hier aussteigen! Will man Gebirgswelt sehen, so muß man in
die Schweiz." — Glückliche Reise! dachte ich und sah zum Fenster hinaus. Hätte im Schwätzen selbst schier vergessen
anf das großartige Gesäuse, durch das der Zug brauste. Wir passiren zwei Tunnels, die Biegungen sind sehr häufig,
so daß man nicht allein jeden Augenblick ein anderes Gebirgsbild hat, sondern auch den höchst interessanten Bau der
Bahn zu übersehen vermag. Es hat sich hier darum gehandelt, das wilde Wasser zu bändigen, zwischen Ouadermauern
einzuzwängen, den alten Fahrweg abzubrechen und wieder neu in die Felsen zu sprengen, die Schutthalden zu reguliren
weit hinan in die Hänge, den Gießbächen die Bette zu graben und zu pflastern und tief unter dem Bahndamm hin
den Abfluß in die Enns vorzuschreiben. Zierliche Vahnhäuschen aus Holz fliegen an uns vorüber. Der Zug geht
rasch, er muß seiner Sache so ziemlich gewiß sein. Die kolossalen Kalkfelfen kommen uns immer näher und starren
immer wilder.
An die siebentausend Fuß hoch sind die Vettern all, die uns hier umragen. Millionen von jugendlichen
Tannenstäminen stehen in der Thalsohle zwischen den Schuttströmen, Felsklötzen, in den Schrunden, auf den Höhen
^ allüberall, wo nnr eine Spanne Boden dein Felsen abzutrotzen war, wuchert in bunter Ueppigkeit das Pflanzenreich.
Schlankes Nadelholzgestamme und herrliche Buchen prangen; und dennoch erfüllt graues, weißes, schreckbar schrundiges
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918