Seite - 45 - in Unser Vaterland - Steiermark und Kärnten
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Die Sölker- und die ÜNurlhaler-Alpe».
Wir wandern nun rechts durch das Oberthal znm öden Giglachsee, oder links durch das Unterthal an dem
neuentstandencn Tettcrscc vorüber zu dein nicht minder öden Risachsce. In der Nähe dieses letzteren Sees in den
tiefen Schatten einer Waldschlucht ist der größte Wasscrfall Steiermarks; die Risach stürzt iu mehreren Absätzen über
ein 159 Fuß hohes Gefelse. Häufig sieht man in dem aufsteigenden Wasserstaubncbel der Waldschlucht die Farben
des Regenbogens spielen. An den Ufern der Risach erheben sich zwei der höchsten Berge des Landes, der 9045 Fuß
hohe Hochgolling und die 8680 Fuß hohe Hochwildstelle. Auf dem Wege hinan gelangt man in ein reizendes
Thal mit Sennhütten. Hier ist echte Urgebirgsnatur; braune Fclsmassen, grün ausgcbuchtet mit frischen Matten
oder auch mit Schnccfeldern. Weiter hin kmnmt man auf eine Wiese, das Himmelreich genannt; auf dieser Matte
ist vor vielen Jahren eine junge
Sennin schlummernd gefunden
worden. Der Iägcrburschc, der
sie fand, hat den Namen „das
Himmelreich" aufgebracht. Der
Gipfel der Hochwildstcllc ist nur
mit Steigeisen nnd Stricken
erreichbar; die Spitze hat vier
Quadratklafter Raum und fällt
fast nach allen Seiten senkrecht
ab. Die Aussicht steht jener
des Dachstein nicht viel nach.
Und so ziehen wir nun
bergauf, thalab, Schlucht ein,
Schlucht aus, über wilde Wässer
und unwirthliche Pässe durch das
Urgcbirge. Es sind die Sölker-
nlpen. Die Wege dieses Ge-
birges nennt der Mensch elend,
denn ihr Baumeister ist die
Natur: das Wasser grabt, das
Eis sprengt, die Lawinen 2teirischcr wölben. Anf allen Höhen
scheinbare Kahlhcit undOcdniß,
und dennoch ist die Gegend
bewohnt. Auf einen Bewohner
kommen zweiundfünfzig Joch
Buden; hingegen kommt auf
das Joch eine Gemse. — Es
ist ein verlassenes Stück Welt
voll düsterer Schönheit. Kein
gemeinsames Dorflcben und lein
wallendes Kornfeld; da liegen
einzelne Hütten fern ab von
einander, zerstreut in den Wal«
dern. Geschlagen, auf Wiesen
und Almen. Da hört man
seltener wie an der Mürz und
an der Naab die lnstigcn
Lieder klingen — da ist das
Hallen des von der Axt oder
vom Sturme stürzenden Bau-
mes, das Rauschen der Wild-
bache, der Kuhreigen, der Schuß
des Jägers und Wildschützen. Kein Hulzzaun scheidet am Waldsaume das Mein nnd Dein, keine glatte Straße zieht
durchs schattige Thal; nur schmale Fußpfade haben einsam wandelnde Menschen hier getreten. Der stämmige Holz-
hauer mit seiner Krare und dem schwcrbcschlagenen Griesbeil (Alpenstock), der bernßtc Kohlenbrenner, der waghalsige
Wnrzner, der gemüthliche Halter, der schmucke Gcmsjager, die einsige Sennin ziehen die unwirthlichen Wege; der ver-
wegene Wildschütze sucht noch wildere Pfade.
Das Töchterlein des Holzhauers jagt Ziegen über den Hang der Hütte zu. Diese ist ein stattlicher Bau,
ans rohen Stämmen gezimmert. Die Fugen sind mit Moos nnd Erde verlegt. Obdach, Ziegenmilch, Schmalznocken,
die sie „Spatzen" oder „Hirschen" oder „Fuchsen" heißen, oder echtes Wildprct und endlich Tabak, viel Tabak, aber
schlechter Tabak — das sind die Bedürfnisse des Wäldlers. Und wer eine Diele aufreißt im Fußboden der Hütte,
der findet leicht ein Schutzgcwehr. Der Jäger ist ihr Todfeind. Wer einem Jäger nicht Eins versetzt hat, der soll
gar kein „Dirndl" haben — weil er kein Mann ist. Der Jäger ist in diesem Gebirge nicht zu beneiden. Er ist
stets in Feindesland. Wohl, er hat Pulver, Blei und Trotz bei sich uud wenn er den Kngelstutzen lädt, so denkt
er weniger an's Wild, als an den Wildschützen. In kalten Fclsklüften bringt er manche Nacht ;u; angemachte
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918