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Tagebuche herausschreibe, fällt mir nur diese erste Strophe ein.
Es ist eine merkwürdige Empfindung, die ich habe. Ich glaube nicht, daß
ich in Wanda verliebt bin, wenigstens habe ich bei unserer ersten Begegnung
nichts von jenem blitzartigen Zünden der Leidenschaft gefühlt. Aber ich
empfinde, wie ihre außerordentliche, wahrhaft göttliche Schönheit allmählich
magische Schlingen um mich legt. Es ist auch keine Neigung des Gemütes,
die in mir entsteht, es ist eine physische Unterwerfung, langsam, aber um so
vollständiger.
Ich leide täglich mehr, und sie – sie lächelt nur dazu.
Heute sagte sie mir plötzlich, ohne jede Veranlassung: »Sie interessieren
mich. Die meisten Männer sind so gewöhnlich, ohne Schwung, ohne Poesie;
in Ihnen ist eine gewisse Tiefe und Begeisterung, vor allem ein Ernst, der mir
wohltut. Ich könnte Sie liebgewinnen.«
Nach einem kurzen, aber heftigen Gewitterregen besuchen wir zusammen
die Wiese und das Venusbild. Die Erde dampft ringsum, Nebel steigen wie
Opferdünste gegen den Himmel, ein zerstückter Regenbogen schwebt in der
Luft, noch tropfen die Bäume, aber Sperlinge und Finken springen schon von
Zweig zu Zweig und zwitschern lebhaft, wie wenn sie über etwas hoch erfreut
wären, und alles ist mit frischem Wohlgeruch erfüllt. Wir können die Wiese
nicht überschreiten, denn sie ist noch ganz naß und erscheint von der Sonne
beglänzt, wie ein kleiner Teich, aus dessen bewegtem Spiegel die
Liebesgöttin emporsteigt, um deren Haupt ein Mückenschwarm tanzt,
welcher, von der Sonne beschienen, wie eine Aureole über ihr schwebt.
Wanda freute sich des lieblichen Anblicks, und da auf den Bänken in der
Allee noch das Wasser steht, stützt sie sich, um etwas auszuruhen, auf meinen
Arm, eine süße Müdigkeit liegt in ihrem ganzen Wesen, ihre Augen sind halb
geschlossen, ihr Atem streift meine Wange.
Ich ergreife ihre Hand und – wie es mir gelingt, weiß ich wahrhaftig nicht –
ich frage sie:
»Könnten Sie mich lieben?«
»Warum nicht«, erwidert sie und läßt ihren ruhigen, sonnigen Blick auf mir
ruhen, aber nicht lange.
Im nächsten Augenblicke knie ich vor ihr und presse mein flammendes
Antlitz in den duftigen Mousselin ihrer Robe.
»Aber Severin – das ist ja unanständig!« ruft sie.
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Venus im Pelz
- Titel
- Venus im Pelz
- Autor
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Novelle, Liebe
- Kategorien
- Weiteres Belletristik