Seite - 29 - in Venus im Pelz
Bild der Seite - 29 -
Text der Seite - 29 -
zum Märtyrer eines Weibes werden.«
Wir sitzen auf Wandas kleinem Balkon in der lauen, duftigen
Sommernacht, ein zweifaches Dach über uns, zuerst den grünen Plafond von
Schlingpflanzen, dann die mit unzähligen Sternen besäte Himmelsdecke. Aus
dem Park tönt der leise, weinerlich verliebte Lockton einer Katze, und ich
sitze auf einem Schemel zu den Füßen meiner Göttin und erzähle von meiner
Kindheit.
»Und damals schon waren alle diese Seltsamkeiten bei Ihnen ausgeprägt?«
fragte Wanda.
»Gewiß, ich erinnere mich keiner Zeit, wo ich sie nicht hatte, ja schon in
der Wiege, so erzählte mir meine Mutter später, war
ich übersinnlich, verschmähte die gesunde Brust der Amme, und man mußte
mich mit Ziegenmilch nähren. Als kleiner Knabe zeigte ich eine rätselhafte
Scheu vor Frauen, in welcher sich eigentlich nur ein unheimliches Interesse
für dieselben ausdrückte. Das graue Gewölbe, das Halbdunkel einer Kirche
beängstigten mich, und vor den glitzernden Altären und Heiligenbildern faßte
mich eine förmliche Angst. Dagegen schlich ich heimlich, wie zu einer
verbotenen Freude, zu einer Venus aus Gips, welche in dem kleinen
Bibliothekszimmer meines Vaters stand, kniete nieder und sprach zu ihr die
Gebete, die man mir eingelernt, das Vaterunser, das Gegrüßt seist du Maria
und das Credo.
Einmal verließ ich nachts mein Bett, um sie zu besuchen, die Mondsichel
leuchtete mir und ließ die Göttin in einem fahlblauen kalten Licht erscheinen.
Ich warf mich vor ihr nieder, küßte ihre kalten Füße, wie ich es bei unsern
Landleuten gesehen hatte, wenn sie die Füße des toten Heilands küßten.
Eine unbezwingliche Sehnsucht ergriff mich.
Ich stieg empor und umschlang den schönen kalten Leib und küßte die
kalten Lippen, da sank ein tiefer Schauer auf mich herab und ich entfloh, und
im Traume war es mir, als stünde die Göttin vor meinem Lager und drohe mir
mit erhobenem Arm.
Man schickte mich frühzeitig in die Schule und so kam ich bald an das
Gymnasium und ergriff alles mit Leidenschaft, was mir die antike Welt zu
erschließen versprach. Ich war bald mit den Göttern Griechenlands vertrauter
als mit der Religion Jesu, ich gab mit Paris Venus den verhängnisvollen
Apfel, ich sah Troja brennen und folgte Odysseus auf seinen Irrfahrten. Die
Urbilder alles Schönen senkten sich tief in meine Seele, und so zeigte ich zu
jener Zeit, wo andere Knaben sich roh und unflätig gebärden, einen
29
zurück zum
Buch Venus im Pelz"
Venus im Pelz
- Titel
- Venus im Pelz
- Autor
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Novelle, Liebe
- Kategorien
- Weiteres Belletristik