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»Warum nicht« unterbrach mich das schöne Weib lebhaft. »Jede Frau hat
den Instinkt, die Neigung, aus ihren Reizen Nutzen zu ziehen, und es hat viel
für sich, sich ohne Liebe, ohne Genuß hinzugeben, man bleibt hübsch
kaltblütig dabei und kann seinen Vorteil wahrnehmen.«
»Wanda, du sagst das?«
»Warum nichtig«, sprach sie, »merk’ dir überhaupt, was ich dir jetzt
sage: fühle dich nie sicher bei dem Weibe, das du liebst, denn die Natur des
Weibes birgt mehr Gefahren, als du glaubst. Die Frauen sind weder
so gut, wie ihre Verehrer und Verteidiger, noch so schlecht, wie ihre Feinde
sie machen. Der Charakter der Frau ist die Charakterlosigkeit. Die beste
Frau sinkt momentan in den Schmutz, die schlechteste erhebt sich unerwartet
zu großen, guten Handlungen und beschämt ihre Verächter. Kein Weib ist so
gut oder so böse, daß es nicht jeden Augenblick sowohl der teuflischsten, als
der göttlichsten, der schmutzigsten, wie der reinsten Gedanken, Gefühle,
Handlungen fähig wäre. Das Weib ist eben, trotz allen Fortschritten der
Zivilisation, so geblieben, wie es aus der Hand der Natur hervorgegangen ist,
es hat den Charakter des Wilden, welcher sich treu und treulos, großmütig und
grausam zeigt, je nach der Regung, die ihn gerade beherrscht. Zu allen Zeiten
hat nur ernste, tiefe Bildung den sittlichen Charakter geschaffen; so folgt der
Mann, auch wenn er selbstsüchtig, wenn er böswillig ist, stets Prinzipien, das
Weib aber folgt immer nur Regungen.Vergiß das nie und fühle dich nie sicher
bei dem Weibe, das du liebst.«
Die Freundin ist fort. Endlich ein Abend mit ihr allein. Es ist, als hätte
Wanda alle Liebe, welche sie mir entzogen hat, für diesen einen seligen
Abend aufgespart, so gütig, so innig, so voll der Gnaden ist sie.
Welche Seligkeit, an ihren Lippen zu hängen, in ihren Armen hinzusterben
und dann, wie sie so ganz aufgelöst, so ganz mir hingegeben an meiner Brust
ruht und unsere Augen wonnetrunken ineinander tauchen.
Ich kann es noch nicht glauben, nicht fassen, daß dieses Weib mein ist,
ganz mein.
»In einem Punkte hat sie doch recht«, begann Wanda, ohne sich zu regen,
ohne nur die Augen zu öffnen, wie im Schlaf.
»Wer?«
Sie schwieg.
»Deine Freundin?«
Sie nickte. »Ja, sie hat recht, du bist kein Mann, du bist ein Phantast, ein
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Buch Venus im Pelz"
Venus im Pelz
- Titel
- Venus im Pelz
- Autor
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Novelle, Liebe
- Kategorien
- Weiteres Belletristik