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Zufällig glitt mein Blick über den massiven Spiegel an der Wand
gegenüber, und ich schrie auf, denn ich sah uns in seinem goldenen Rahmen
wie im Bilde, und dieses Bild war so wunderbar schön, so seltsam, so
phantastisch, daß mich eine tiefe Trauer bei dem Gedanken faßte, daß seine
Linien, seine Farben zerrinnen sollen wie Nebel.
»Was hast du?« fragte Wanda.
Ich deutete auf den Spiegel.
»Ah! Es ist in der Tat schön«, rief sie aus, »schade, daß man den
Augenblick nicht festhalten kann.«
»Und warum nicht?« fragte ich, »wird nicht jeder Künstler, auch der
berühmteste, stolz darauf sein, wenn du ihm gestattest, dich durch seinen
Pinsel zu verewigen?«
»Der Gedanke, daß diese außerordentliche Schönheit«, fuhr ich, sie mit
Begeisterung betrachtend, fort, »diese herrliche Bildung des Gesichtes, dieses
seltsame Auge mit seinem grünen Feuer, dieses dämonische Haar, diese
Pracht des Leibes für die Weit verloren gehen sollen, ist entsetzlich, und faßt
mich mit allen Schauern des Todes, der Vernichtung an; dich aber soll die
Hand des Künstlers ihr entreißen, du darfst nicht wie wir anderen ganz und
für immer untergehen, ohne eine Spur deines Daseins zurückzulassen, dein
Bild muß leben, wenn du selbst schon längst zu Staub zerfallen bist, deine
Schönheit muß über den Tod triumphieren!«
Wanda lächelte.
»Schade, daß das heutige Italien keinen Titian oder Raphael hat«, sprach
sie, »indes vielleicht ersetzt die Liebe das Genie, wer weiß, unser kleiner
Deutscher?« Sie sann nach.
»Ja – er soll mich malen – und ich werde dafür sorgen, daß ihm Amor die
Farben mischt.«
Der junge Maler hat in ihrer Villa sein Atelier aufgeschlagen, sie hat ihn
vollkommen im Netz. Er hat eben eine Madonna angefangen, eine Madonna
mit rotem Haare und grünen Augen! Aus diesem Rasseweibe ein Bild der
Jungfräulichkeit machen, das kann nur der Idealismus eines Deutschen. Der
arme Bursche ist wirklich beinahe noch ein größerer Esel als ich. Das
Unglück ist nur, daß unsere Titania unsere Eselohren zu früh entdeckt hat.
Nun lacht sie über uns, und wie sie lacht, ich höre ihr übermütiges,
melodisches Lachen in seinem Studio, unter dessen offenem Fenster ich stehe
und eifersüchtig lausche.
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Venus im Pelz
- Titel
- Venus im Pelz
- Autor
- Leopold Von Sacher-Masoch
- Datum
- 1901
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Novelle, Liebe
- Kategorien
- Weiteres Belletristik