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Vorbemerkungen zum vorliegenden Bandl 9
menschlichen Religiosität anstrebt. Gleichwohl ist es möglich, ein Nachzeichnen des
religionsphilosophischen „Umrisses“ im Lebenswerk Viktor Frankls zu versuchen
(vgl. Sárkány 2008, Sárkány 2014). Aus der Sicht eines Religionsphilosophen kann
dabei zunächst der irrige Eindruck entstehen, dass Frankl zwar den Psychologismus
in Bezug auf die Religion überwindet, gleichzeitig jedoch einer anderen, „höheren“
Form des Reduktionismus verfällt, indem er die Religion ebenfalls einem „nichts
als“-Verfahren unterwirft: Religion ist für Frankl „nichts als“ ein geistiges Phänomen
am Menschen, eine Realität, die zusammen mit der Existenz des Menschen gegeben
ist.
Allerdings wird dieser Eindruck dadurch entkräftet, wie Péter Sárkány richtig
feststellt, dass Frankl zum einen immer wieder betont, Religion bedeute gleichzeitig
mehr, und sei auch grundlegend anders als das, was spezifisch anthropologische
Kategorien – die freie individuelle Entscheidung und die Verantwortung – in Bezug
auf sie ins Bild rĂĽcken. Zum anderen hebt Frankl die Differenz zwischen Religion
und Religiosität hervor, die es ihrerseits deutlich macht, dass es ihm letztlich nicht
um die Religion bzw. um eine „Totalität“ der Religion geht, sondern vielmehr um
die Psychologie der Religiosität und um deren anthropologische Zusammenhänge.
(Sárkány 2008, 170f). Man wird also der Sache besser gerecht, wenn man zuallererst
den „eigentliche[n] Entwicklungsschritt, den die Religionspsychologie mit Frankl
vollzieht“ gelten lässt und ihm Aufmerksamkeit schenkt. Dieser Schritt ist, wie Al-
exander Batthyány nachweist, „im Grunde ein Rückzug aus geistigen Bereichen, die
von vornherein psychologisch nicht in vollem Umfang zugänglich waren: Denn Reli-
giosität ist für Frankl Ausdruck der menschlichen Suche nach Sinn und als Ausdruck
der Sinnsuche ebenso wenig reduzierbar und hinterfragbar wie die Sinnsuche selbst.“
(Batthyány 2005b, 38).
Auch die Texte dieses Bandes stellen unter Beweis, dass Frankl durch sein ganzes
Berufsleben hindurch Psychiater und Neurologe geblieben ist, dem vor allem „eine
Rehumanisierung der Medizin“ (Frankl 2011a, 326) am Herzen lag. Im Kontext
seiner sinnzentrierten Psychotherapie hält er sich deshalb – beinahe notgedrungen,
möchte man anmerken – oft im Grenzgebiet zwischen Medizin und Weltanschauung
auf. Vermeintliche GrenzĂĽberschreitungen geschehen nur, wenn er als Privatperson
zu weltanschaulichen Fragen Stellung bezieht und sind daher auch im eigentlichen
Sinne weniger Grenzüberschreitungen als persönliche Stellungnahmen, die aber
wiederum Einsicht zu geben vermögen in die Ideenwelt Viktor Frankls. Unbeschadet
der Tatsache, dass die Logotherapie eine Richtung innerhalb der Psychotherapie und
damit „keine religiöse Erscheinung“ darstellt, ist es deswegen ein berechtigtes Anlie-
gen, sich auch mit Frankl selbst „als einem religiösen Denker und einem Juden“ zu
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Buch Viktor E. Frankl - Gesammlte Werke"
Viktor E. Frankl
Gesammlte Werke
Psychotherapie, Psychiatrie und Religion. Ăśber das Grenzgebiet zwischen Seelenheilkunde und Glauben
- Titel
- Viktor E. Frankl
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Autoren
- Alexander Batthyany
- János Vik
- Karlheinz Biller
- Eugenio Fizzotti
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20574-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 318
- Schlagwörter
- Psychotherapie, Psychologie, Psychiatrie, Religion, Logotherapie, Existenzanalyse, Viktor Frankl
- Kategorie
- Geisteswissenschaften