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Inhalt und Gliederung 29
Diese Bilderwelt ist uns [...] nicht angeboren, sondern in sie sind wir hineingeboren. Wir bestrei-
ten also keineswegs, dass der Mensch für seine Religiosität etwas vorfindet – dass es ein faktisch
Vorgefundenes ist, das er sich existentiell aneignet. Aber dieses Vorgefundene, diese Urbilder –
das sind nicht irgendwelche Archetypen, sondern das sind die Gebete unserer Väter, die Riten
unserer Kirchen, die Offenbarungen unserer Propheten – und die Vorbilder unserer Heiligen.
Die Überlieferungen stehen genug zur Verfügung – niemand braucht Gott erst zu erfinden.
Allerdings lässt sich existentielle Religiosität, die Entscheidungscharakter hat,
nicht manipulieren, meint Frankl. Um glauben zu können, muss Transzendenz ei-
nem glaubhaft vorkommen, und auch jene Person, die von diesem Glauben an ei-
nen Ăśber-Sinn Zeugnis ablegt, muss selbst glaubwĂĽrdig wirken. Bei alldem wird es
jedoch nie absolut sichere Beweise dafür geben können, ob der Glauben an einen
Über-Sinn wahr ist oder eine Illusion darstellt. In beiden Fällen sieht Frankl Denk-
möglichkeiten, von denen jedoch keine als Denknotwendigkeit in Betracht gezogen
werden kann.
Wo die Argumente, die fĂĽr oder gegen einen letzten Sinn sprechen, einander die Waage halten,
wirft der sinn-gläubige Mensch das ganze Gewicht seines Mensch-Seins, seiner Existenz, in die
Waagschale und spricht sein „fiat“, sein „Amen“: „So sei es – ich entscheide mich dafür, so zu han-
deln, ‚als ob’ das Leben einen unendlichen, einen über unser endliches Fassungsvermögen hinaus-
gehenden – einen ‚Über-Sinn’ hätte.“ Der Glaube ist nicht ein Denken, vermindert um die Realität des
jeweils Gedachten, sondern ein Denken, vermehrt um die Existentialität des jeweils Denkenden.
Die Rationalität einer solchen existentiellen Entscheidung lässt sich im Sinne der Po-
sition des kritischen Rationalismus deuten, die „den Umstand anerkennt, dass die ra-
tionalistische Einstellung auf einem (zumindest vorläufigen) irrationalen Entschluss
oder auf dem Glauben an die Vernunft beruht“ (Popper 2003, 271). Allerdings kann
dementsprechend sowohl die theistische als auch die atheistische Option in der Frage
nach einem letzten Sinn nur im Modus der Hoffnung vernĂĽnftig argumentieren.
4. Gespräche und Interviews
1. Dialogue on religion: commentS of Dr. frankl – logotherapy anD the talmuD
(1970)
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Buch Viktor E. Frankl - Gesammlte Werke"
Viktor E. Frankl
Gesammlte Werke
Psychotherapie, Psychiatrie und Religion. Ăśber das Grenzgebiet zwischen Seelenheilkunde und Glauben
- Titel
- Viktor E. Frankl
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Autoren
- Alexander Batthyany
- János Vik
- Karlheinz Biller
- Eugenio Fizzotti
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20574-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 318
- Schlagwörter
- Psychotherapie, Psychologie, Psychiatrie, Religion, Logotherapie, Existenzanalyse, Viktor Frankl
- Kategorie
- Geisteswissenschaften