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32 Der diplomatische Alltag
blizierten „Wienerischen Diariums“ – noch größeren Stellenwert. Erst die Zeitungen un-
terliefen vermehrt das lange geltende Arkanprinzip der frühneuzeitlichen Diplomatie119.
Die Gesandten, mehr noch aber die Botschafter, galten an ihrem Entsendungsort als
die wichtigsten Repräsentanten des entsendenden Fürsten, Gesandte und Botschafter hat-
ten daher mit großer Vehemenz den Rang, aber auch die protokollarische Behandlung des
jeweiligen Fürsten zu verteidigen. Entsprechend wichtig waren die aufwändigen, kosten-
intensiven Einzüge der wichtigen Botschafter, aber auch das teure repräsentative Auftre-
ten der Gesandten im Alltag120.
Die Diplomatie der Frühen Neuzeit war lange durch die Diplomaten vom „type an-
cien“ charakterisiert. Nicht die diplomatischen Kenntnisse und das Wissen um Reichs-
und Völkerrecht erschienen für den frühneuzeitlichen Diplomaten konstitutiv, sondern
dessen herausgehobene soziale, im Regelfall adelige Position. Nicht historisch-militäri-
sches Fachwissen, sondern Kenntnisse des höfischen Umganges, Verhaltensformen eines
adelstypischen Habitus und ein grundlegendes Verständnis von Zeremoniell waren für
diese Fürstendiener im Ausland entscheidend121. Der Diplomat vom „type ancien“ stand
erstens in einem personalen Dienstverhältnis zu seinem Fürsten, zweitens war seine Pro-
fessionalität standesspezifischer Natur. Der diplomatische Dienst stellte drittens meist
„nur“ eine karrierefördernde Phase und keinen lebenslangen Dienst dar. Von einem Di-
plomaten des „alten Typs“ wurde das intensive Einwerben von Beziehungen zu den ent-
scheidenden Amtsträgern und Hofangehörigen erwartet, was indirekt zu einem System
von – aus heutiger Sicht – Bestechung führte. Der Diplomat der Frühen Neuzeit „ver-
makelte Patronageressourcen“122 zwischen seinem Herkunftsland und seinem beruflichen
Arbeitsfeld in der Fremde. Gesandte verhielten sich in der Frühen Neuzeit nicht nur nach
dem Idealbild des treuen Fürstendieners, sondern sie unterlagen dem Ethos der Patro-
nage, indem sie auch ihre Verwandten, Klienten und Patrone zu begünstigen trachteten.
Im „Kraftfeld zweier Normensysteme“ stehend, verrichteten die Gesandten eigene und
gleichzeitig öffentliche Dienste123. In der Korrespondenz der Diplomaten verwendete,
unscharfe und vielschichtige Begriffe wie „Freunde“ oder „Freundschaft“ verstärken die-
sen Eindruck der Vermischung von Sphären. Als „Freunde“ wurden Kontaktpersonen,
die Informationen lieferten, aber auch Personen, welche der Diplomat mit Nachrichten
belieferte, ebenso wie auch familiäre Bezugspersonen bezeichnet124. Die politischen und
die familiären Dimensionen waren für die frühneuzeitlichen Gesandten untrennbar mit-
einander vermischt. Der Botschafter war zudem Vorsteher eines „Hauses“ in einer frem-
den Stadt bzw. in einem Residenzort, er beaufsichtigte Personal sowohl in der Botschaft,
aber auch in seiner „privaten“ Haushaltsführung. Das System der Diplomaten des „type
ancien“, der die Souveränität seines Fürsten mit allen zeremoniellen Mitteln zu vertei-
digen hatte, wäre nicht möglich gewesen ohne verschiedene offizielle und halboffizielle
Mitarbeiter, die als Residenten, als Agenten oder als Deputierte im Umfeld des offiziellen
119 Deutlich gemacht an der Zeitungsberichterstattung über den Westfälischen Frieden Rosseaux, Frie-
densverhandlungen und Öffentlichkeit. Am Beispiel der differenzierten Berichterstattung über die Schlacht von
Mogersdorf in den Zeitungen Scheutz, „Relation des blutigen Treffens“.
120 Am Beispiel der römischen Feiern zur Geburt des Kurprinzen Joseph Ferdinand 1692 Scherbaum,
Festkultur, Diplomatie und Familienglanz.
121 Von Thiessen, Diplomatie vom „type ancien“ 478–504.
122 Ebd. 492.
123 Von Thiessen, Korrupte Gesandte? 215.
124 Würgler, Freunde, „amis“, „amici“ 198–202.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Titel
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen