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42 Antichambrieren, Netzwerken und das Verfassen von Relationen
rern daselbst aufwartenden negotianten mich sehen laßen, also habe ich auch noch gestriges
Freytags nicht manquiret, alda zur hand zu seyn, auff allen fall zu vernehmen, ob etwas in
diser sache heraus gekommmen. Ich fand aber das mahl noch alles in schlaffender ruhe und in
den gemächern und zimmern eine unauffgraumbte desordre, weil man die vorhergegangene
nacht mit der fastnachts kurzweil und masquirten balli sich daselbst divertirt gehabt. Ich
reterirte mich also von dannen, kam dannoch gegen 11 uhr vormittags wieder, fand seiner
excellenz audienz zimmer noch nicht eröffnet171. Die Gesandten hatten den Auftrag, auf
die Eingaben der Gegenseite rasch zu reagieren, aber auch durch persönlichen Kontakt
immer wieder auf den Fortgang des Verfahrens zu drängen – keine leichte Aufgabe, wie
Andermüller feststellen musste. Die vielfältige und überhäuffte affaires, womit der herr
reichsvicecantzlers excellenz beladen sind, haben verursachet, daß fast niemand seit der wie-
derzurückkunfft [nach Ostern 1703] bey deroselben vorgekommen, zumahlen da dieselben
meistentheils in der frühe ausgefahren, umb den vorsayenden conferenzen und consultationen
beyzuwohnen, und des nachmittags laßen sie sich ohne dem nicht oder doch gar selten spre-
chen. Ich habe demnach mich an dern herrn secretair Hayeck gemachet, wiewohl denselben
auch kaum auff einige momente bey zukommen gewesen172.
Besonders eng versuchte Andermüller das Verhältnis zu dem aus seiner Sicht zaudern-
den und zunehmend kränker werdenden Andler zu gestalten, den er mit seinen Anliegen
regelrecht belagerte. Ich habe nun seit meines vorigen unterthänigsten [Berichtes] auch die
übrigen reichshoffräthe, und unter andern fürnehmlich den herrn von Andler, zu sprechen mir
angelegen seyn laßen, dieser nun entschuldigte sich, daß, weil er ein 14 tage hero den sauer-
brunn zu hause gebrauchet, den rath nicht frequentiret und also nicht beobachten können, was
etwa in deßen in causa saxo-lauenburgica vorgekommen seyn möchte173. Andermüller scheint
nur selten bei Hof direkt erschienen zu sein. Als der Kaiserhof mit Gotthard Helfried Graf
von Welz (1654–1724) einen Gesandten nach Stockholm (1700–1702) entsandte, ver-
suchten die Anhalter Fürsten mit Erfolg auf dessen Instruktion Einfluss zu nehmen, weil
Schweden im sachsen-lauenburgischen Erbstreit Parteienstellung besaß. Andermüller traf
Welz direkt am Wiener Hof: Er hat mir noch verwichener tagen, alß ich ihn zu hofe rencon-
triret, sehr höffliche und geneigteste mine gemachet174.
Die Agenten und Residenten der verschiedenen Reichsstände versuchten neben der
häufigen Intervention beim Reichshofrat und der Reichskanzlei immer wieder auch „Ge-
schäftsessen“ zu veranstalten, zu denen Reichshofräte geladen waren, um dort im be-
stimmtem Sinne „eingekocht“ zu werden. Mit einigen herrn reichshoffräthen – darunter
Johann Wilhelm von Wurmbrand-Stuppach, Johann Hermann von Maystetter († um
1703), Michael Achatius von Kirchner († 1734) – habe ich dieser tagen mich zu besprechen
guthe gelegenheith gehabt, in dem sichs gefüegt, daß sie des einen tages beym herrn Persio im
garten und des folgenden beym marggräflichen anspachischen envoyé dem von Metzsch [Reichs-
hofrat Johann Adolf von Metsch, † 1740] nebst mir zur mittagsmahlzeit gewesen175. Diese
171 LASA, Z 87, XXIV, Nr. 10b, 205. Relation vom 28. Februar 1703. Ähnlich ebd., 208. Relation, 21.
März 1703: Wann ich der suite meiner abermahligen wöchentlichen verrichtung alhier nach weise meiner vorigen
neülichsten unterthänigsten berichte ferners inhaeriren sollte, würde ich die bisherige diaria von dem täglichen
aufwarten und ansprechen bey des herrn reichsvicecanzler excellenz, ohne dabey etwas schließliches in dem beytrags
negotio referiren zu können, zu schlechter consolation euer hochfürstlichen durchleuchtigkeiten bloß vergrößern.
172 LASA, Z 87, XXIV, Nr. 10b, 214. Relation vom 3. Mai 1703.
173 LASA, Z 87, XXIV, Nr. 9, 125. Relation vom 10. August 1701.
174 LASA, Z 87, XXI, Nr. 8, 44. Relation, 9. Jänner 1700.
175 LASA, Z 87, XXI, Nr. 7, 11. Relation vom 23. Mai 1699.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Titel
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen