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Die Transformation der städtischen Befestigungen 87
10.2 Die Transformation der städtischen Befestigungen
Neben dem Stadtinneren bietet Andermüllers Vogelschau auch einen Blick auf die
städtischen Befestigungen zu Anfang des 18. Jahrhunderts, und so möge auch dieser Be-
reich einer genaueren Betrachtung gewürdigt werden. Wiens Stadtmauer geht auf das
späte 12. und frühe 13. Jahrhundert zurück389. In so mancher Hinsicht war ihre Fertig-
stellung unter der Regierung Friedrichs des Streitbaren (1230‒1246) zugleich äußerer
Endpunkt des Stadtwerdungsprozesses von Wien, der freilich durch viele andere Fak-
toren mitbestimmt wurde und seine Anfänge bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts
genommen hatte. Der vollendete Befestigungsring entsprach dem Standard, der für das
mittelalterliche Städtewesen des deutschsprachigen Raumes390 gängig war. Er setzte sich
im Wesentlichen aus dem zinnenbekrönten Mauerverlauf selbst, einer Reihe von Ver-
stärkungstürmen und den für die Kommunikation zwischen Stadtinnen und Stadtaußen
unverzichtbaren Toren zusammen. Insgesamt handelte es sich im Falle Wiens dabei um
acht Tore, nämlich das Kärntner Tor als Verbindung über den Wienfluss nach dem Süden,
das Widmer-, das Schotten- und das Werdertor als Ausfallswege in Richtung Westen, das
Rotenturmtor im Norden als direkte Verbindung zur Donau und das Stubentor in Rich-
tung Osten sowie die kleineren Anlagen des in Verstärkungstürme integrierten Salz- und
des Bibertores, gleichfalls an der Donaufront. Ihre Namen bezogen sich entweder auf
Topographisches außer- (Kärntner Tor, Werdertor) oder innerhalb der Stadt (Schottentor,
Stubentor, Widmertor), auf den Namen der mit der Hut des Tores betrauten Familie
(Bibertor) bzw. sie richteten sich nach ihrem Aussehen (Rotenturmtor)391. Verstärkungs-
türme gab es bei längeren und damit schlecht geschützten Abschnitten der eigentlichen
Mauer. Massiert traten sie insbesondere im Zug der nördlichen, auf sumpfigeren Böden
errichteten Abschnitte der Wiener Stadtmauer auf.
In Reaktion auf die vielgestaltigen Wirren und Unruhen des 15. Jahrhunderts wurde
eine neue Befestigungsinitiative gesetzt, bei der es um den Schutz der seit dem hohen
Mittelalter außerhalb der Stadtmauer aufgeblühten Vorstädte392 ging. Erstmals zum Jahr
1441 genannt, wurde für diese vor der Stadtmauer gelegenen Zonen eine in baulicher
Hinsicht der durchgehend gemauerten Ringmauer freilich nur partiell vergleichbare
Befestigungslinie errichtet. Die massivsten Teile dieser Vorstadtbefestigung waren die
zum Schutz der maßgeblichen Straßenverbindungen von und zur Stadt angelegten Boll-
werke samt Toren, unter denen exemplarisch die Anlagen bei St. Niklas auf der Land-
straße (Name nach dem dort gelegenen Kloster St. Niklas) oder der Laßlaturm (benannt
nach König Ladislaus Postumus) an der Wiedner Hauptstraße zu erwähnen sind. Von
einem Mauerverlauf konnte auf weiten Strecken keine Rede sein, vielmehr handelte es
sich um einen auf einem Wall errichteten Palisadenzaun. Bei archäologischen Ausgra-
bungen im Bereich der Rasumofskygasse (Wien III) wurde 2014/15 ein außerhalb der
389 Zur Geschichte der städtischen Befestigungen Wiens vgl. die Ausführungen bei Hummelberger–
Peball, Befestigungen; Opll, Grenzen; ders., Schutz und Symbol; für die Phase der neuzeitlichen Entwick-
lung von 1529 bis 1857 vgl. von archäologischer Seite insbesondere Von der mittelalterlichen Stadtmauer zur
neuzeitlichen Festung Wiens, weiters Krause et al., Mauern um Wien.
390 Dazu vgl. jetzt das eindrucksvolle und mit reichem Abbildungsmaterial ausgestattete Werk von Bil-
ler, Die mittelalterliche Stadtbefestigung.
391 Zur Bedeutung der Namengebung bei mittelalterlichen Stadttoren vgl. Opll, Trennen und Verbinden
59–89.
392 Zur Wiener Vorstadtbefestigung vgl. Opll, Grenzen 41‒56.
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Titel
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen