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126 Resümee
Ansichten wiederum entstanden entweder als Ausfluss einer Beauftragung, als Versuch ih-
rer Produzenten, für ein vorgelegtes Werk entsprechende Honorierung zu erfahren, oder
auch im Kontext der seit dem späten 15. Jahrhundert neu aufkommenden Städtebuchli-
teratur. Vor allem die bedeutenden frühen Vogelschauen Wiens, das Werk Jacob Hoefna-
gels von 1609, das des Folbert van Ouden-Allen aus den 1680er Jahren sowie das darauf
fußende Ölgemälde des Domenico Cetto von 1689 fügen sich exakt in diesen Kontext
ein.
In dieser Epoche, im späten 17. und im frühen 18. Jahrhundert, sollte dann der aus
Dessau und aus bürgerlichem Umfeld stammende Kanzleirat Bernhard Georg Andermül-
ler (1644–1717) im Auftrag seines Dienstgebers, des anhaltischen Fürstenhauses, mehrere
Jahre hindurch in der Kaiserstadt Wien weilen. Der gut ausgebildete Verwaltungsprakti-
ker Andermüller war in die Donaumetropole entsandt worden, um das Interesse seiner
Herren an einer Erwerbung des sachsen-lauenburgischen Erbes beim Reichshofrat effizi-
ent zu vertreten, Rasch eingearbeitet, erhielt Andermüller im Verlauf seines vierjährigen
Wien-Aufenthalts weitere diplomatische Aufträge. Im letzten Jahr seiner Tätigkeit in der
Reichshaupt- und Residenzstadt schließlich, 1703, zeichnete er eine Vogelschau der Stadt
Wien – wohl gestützt auf jahrelange Beobachtung und – nicht erhaltene – umfangreiche
Vorarbeiten und Skizzen. Er konnte dabei auf ausgeprägten graphischen Fähigkeiten auf-
bauen, denen eine lebenslange Lust am Zeichnen entsprang.
Inwieweit es korrekt ist, bei ihm von einem Autodidakten zu sprechen, lässt sich
schwer sagen. Er hatte in seinen frühen Jahren auch als Hofmeister bzw. Hauslehrer bei
einem nicht näher genannten jungen Freiherrn von Kettler aus dem Kurland gearbei-
tet, mag dabei seinen Zögling auch im Zeichnen unterrichtet haben. In jedem Fall war
Andermüller ein „Dilettant“ im alten Sinn des Wortes, somit ein seiner Vorliebe für das
Zeichnen mit großem Engagement ergebener „Liebhaber“. Bei seiner (karto-)graphischen
Tätigkeit wusste er sich auch vorhandener Vorlagen zu bedienen, muss in jedem Fall eine
Version der Hoefnagelschen Vogelschau gekannt oder wahrscheinlich sogar besessen ha-
ben, da mehrere graphische Spezifika seines Werks eindeutig darauf hinweisen. Es kann
auch nicht ausgeschlossen werden, dass er über ein Exemplar des 1701 im Druck er-
schienenen Häuserverzeichnisses des Johann Jordan verfügte. In nicht durchgehend hoher
Präzision, immer wieder aber doch auch sehr exakt, bietet er auf seiner Vogelschau einen
Blick auf die ummauerte Stadt samt Befestigungen und Ravelins. Sein Interesse an der
Identifizierung der innerstädtischen Bauten geht weit über das seiner Vorgänger hinaus.
In der Vogelschau selbst benennt er insbesondere die Elemente der Stadtbefestigungen
und die innerstädtischen Verkehrsflächen, die umfassende Legende führt im Gegensatz
zu älteren Wiener Ansichten nicht nur die herausragenden kirchlichen Gebäude sowie
die kaiserliche Burg an, sie bietet vor allem die Namen zahlreicher adeliger Palais, deren
barockes Gepräge zum Teil auch bildhaft hervorgehoben wird.
Bei einem Überblick über das Dargestellte zeichnen sich bei Andermüller in der Wie-
ner Innenstadt recht markant klösterlich dominierte Bereiche, ein militärischer Block
(Kaiserliches Zeughaus in der Renngasse, Arsenal, Bürgerliches Zeughaus) und ein Adels-
block (entlang von Herrengasse, Wallnerstraße und Stadtmauer im Südwesten) ab. Im
Süden dominiert der Hof (Hofburg mit Augustinerkirche), doch gibt es zu Andermüllers
Zeiten auch noch eine relativ weit ausgedehnte Bebaung mit bürgerlichem Hausbestand
(Giebelhäuser, u. a. beidseitig des Grabens, beidseitig der Naglergasse, vom Judenplatz
nach Norden und vor allem im Herzen des Stubenviertels von der Bäckerstraße nach
Norden bis zur Stadtmauer), der vielfach noch das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche
Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Titel
- Die Transformation des Wiener Stadtbildes um 1700
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Martin Scheutz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20856-3
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- History, Höfische Netzwerke, Wien, Kartografie, Stadtentwicklung, Karten, Reichshofrat, Europäische Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen