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Bilder – Grundriss einer Studie
tention und ihrer konkreten Ausformung : Statt um Minimalversorgung ging es bald
um Reintegration, und an die Stelle der Invalidenhäuser und Leierkastenkonzessio-
nen traten differenzierte Leistungen, die von der Rentenzahlung über Heilbehand-
lung, Rehabilitation, Umschulung und berufliche Reintegration bis zu diversen ande-
ren Maßnahmen und Begünstigungen reichten. Bei der Kriegsopferversorgung ging
es nicht mehr allein um die Erhaltung der Kriegstauglichkeit oder – falls diese nicht
mehr zu erreichen war – um die materielle Absicherung durch Sach- und Geldleis-
tungen. Im Vordergrund der Demobilisierung nach dem Ersten Weltkrieg stand nun
die Wiedereingliederung der Kriegsbeschädigten in das Erwerbsleben, die mit einem
Bündel von ineinander greifenden Maßnahmen erreicht werden sollte. Es war dies –
wie Maureen Healy es treffend charakterisierte
– „the work of cleansing the war out of
the warrior“,10 ein Prozess der Normalisierung und Zivilisierung. Welche Maßnahmen
dabei mehr als Fürsorge- und welche mehr als Versorgungsakte anzusprechen sind,
kann oft nicht eindeutig entschieden werden ; in der vorliegenden Studie wird das
Wort „Fürsorge“ tendenziell eher für die Beschreibung des Systems vor 1918 und der
Begriff „Versorgung“ eher für die Zeit nach 1918 verwendet.
Das juristische Kürzel MdE – die in Prozentsätzen angegebene „Minderung der
Erwerbsfähigkeit“ – avancierte zum Synonym für die Einstufung der Kriegsopfer, de-
ren Versehrtheit nun von Fachleuten in Bezug auf das Erwerbsleben gemessen und
„behandelt“ wurde. Ein neuer Blick auf den in seinen Funktionen tayloristisch zer-
legten und einzeln betrachteten Körper förderte diese Einstellung. Begleitet wurde
der Prozess von der durch den Krieg vorangetriebenen Entwicklung der Chirurgie
und Orthopädie. Die Prothesenerzeugung, in der Österreich mit seinen 1915 ein-
gerichteten staatlichen Prothesenwerkstätten europaweit führend war, spezialisierte
sich auf Kriegsfälle. Der technische Fortschritt begünstigte seinerseits den Glauben
an die Wiederherstellbarkeit des Körpers. Fehlende Glieder schienen sich mühelos
durch Wunderwerke der Technik ersetzen zu lassen, die versprachen, den Menschen
noch besser an die Maschinen anzupassen, an denen er arbeiten sollte.11 – Auch psy-
chische Folgeschäden des Krieges wurden unter dem Titel Kriegsneurose erstmals
10 Maureen Healy, Civilizing the Soldier in Postwar Austria, in : Nancy M. Wingfield/Maria Bucur (Hg.),
Gender and War in Twentieth-Century Eastern Europe, Bloomington-Indianapolis 2006, S.
47–69, hier
S. 47.
11 Sabine Kienitz, Körper – Beschädigungen. Kriegsinvalidität und Männlichkeitskonstruktionen in der
Weimarer Republik, in : Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat-Front. Militär
und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege (= Reihe „Geschichte und Geschlechter“ 35),
Frankfurt/M.-New York 2002, S. 188–207 ; Bernd Ulrich, „… als wenn nichts geschehen wäre“. An-
merkungen zur Behandlung der Kriegsopfer während des Ersten Weltkrieges, in : Gerhard Hirschfeld/
Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch
… Erlebnis und Wirkung des
Ersten Weltkrieges, Essen 1993, S. 115–129.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918