Seite - 19 - in Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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Bilder – Grundriss einer Studie
unterstützt durch die Betrachtung der im Rahmen dieses Versorgungssystems durch-
gesetzten Grundprinzipien, denn erst die in jener Zeit etablierte Kriegsopferversor-
gung machte aus dem wehrpflichtigen Soldaten den versorgungsberechtigten Staats-
bürger, indem sie ein
– wenn auch asymmetrisches
– Pflichtendreieck von Wehrpflicht,
Versorgungspflicht und Arbeitspflicht schuf. Mit den Kriegsopfern wuchs dem Staat
nach 1918 eine neue – und zu ihm in einem ganz eigenen Verhältnis stehende – Ver-
sorgungsgruppe zu. Und obwohl diese Gruppe mit zunehmendem Abstand zum Krieg
kleiner wurde, Kriegsopferfürsorge also gewissermaßen eine zeitbedingte Erscheinung
war, hatten die einmal erprobten Prinzipien Bestand. Neu war, dass der Staat sich nun
erstmals verpflichtete, staatliche Gelder direkt an seine Staatsbürger auszuzahlen. Alle
Sozialgesetze, die bis dahin in Österreich in Kraft getreten waren, insbesondere die
Unfall- und Krankenversicherungsgesetze der 1880er-Jahre, waren von Anfang darauf
ausgerichtet, ganz ohne staatliche Zuschüsse auszukommen. Der Staat lieferte hier
„nur“ den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen die Arbeitnehmer- und Arbeitge-
berinteressen ausgehandelt wurden.15 Am deutlichsten wird die Vorbildhaftigkeit der
Kriegsopfergesetzgebung nicht zuletzt daran, dass die Kriegsopferversorgung – wie
das österreichische Beispiel zeigt – auch als Beginn der Behindertenpolitik angespro-
chen werden kann.
1.1.2 Kriegsende als Wende
Jede Nachkriegszeit führt dazu, dass die legistische und administrative Beschäftigung
mit den Opfern der kriegerischen Ereignisse eine Konjunktur erlebt, die erst nach
einer gewissen Zeit wieder abflacht. Der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748)
beispielsweise war Anlass für das erste General-Invaliden-System, das jedoch bereits
durch die Folgen des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) vollkommen überfordert
war. Die letzte große kriegerische Auseinandersetzung der Habsburgermonarchie vor
dem Ersten Weltkrieg, der Krieg gegen Preußen und Italien (1866/1867), brachte
schließlich neben der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch den Beitritt der
Monarchie zur internationalen „Konvention zur Verbesserung des Loses der Verwun-
deten und Kranken der Streitkräfte“ (Genfer Konvention). Der Erste Weltkrieg stellte
hinsichtlich der Kriegsopferfürsorge – wie bereits betont – einen Wendepunkt dar.
Vermutlich war Krieg nie zuvor in einer derart massiven Weise in der Nachkriegszeit
15 Die im Fall Österreichs scharfe Ablehnung einer finanziellen Beteiligung des Staates an der Errichtung
eines Sozialversicherungssystems ist einer der wesentlichen Unterschiede zur Bismarck’schen Sozial-
gesetzgebung der 1880er-Jahre im Deutschen Reich. Vgl. dazu Herbert Hofmeister, Ein Jahrhundert
Sozialversicherung in Österreich, Berlin 1981, S. 89–109.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918