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Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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70 Die Gesetzgebung der Monarchie vollständige Aufstellung enthalten hätte, wie eine konkrete Verletzung in Bezug auf einen bestimmten Beruf zu bewerten sei. Die Begutachtungsrichtlinien der Arbeiter- unfallversicherungen, über deren Rezeption durch die Militärmedizin allerdings oh- nehin nichts bekannt ist, hätten hier nur bedingt Abhilfe schaffen können, da dort die Bewertung von Schäden im Wesentlichen nur im Hinblick auf eine Berufsgruppe, die der Fabrikarbeiter nämlich, normiert werden musste. Die Superarbitrierungskommis- sionen dagegen waren theoretisch mit dem Querschnitt der gesamten männlichen Be- völkerung konfrontiert.59 Den Militärärzten fehlte jedoch jede praktische Erfahrung bei der Festsetzung der prozentuellen Minderung der Erwerbsfähigkeit, was das Sys- tem grundsätzlich infrage stellte. Obwohl dieses Problem bereits während des Krieges erkannt wurde, blieben die Superarbitrierungskommissionen bis Kriegsende rein mi- litärische Einrichtungen.60 Wie auch immer die Praxis der Quantifizierung einer berufsbezogenen Schädigung aussah, mit der Einführung dieses neuen Maßstabes zur Beurteilung der körperlichen Schädigung fand erstmals ein ziviles Element in das bis dahin rein militärische Bewer- tungssystem Eingang. Theoretisch wenigstens wurde mit dem Erlass vom August 1915 ein Berufsschutz für verwundete Soldaten geschaffen. Der Fortschritt gegenüber dem alten System lag darin, dass der Staat ab diesem Zeitpunkt nun tatsächlich den Staats- bürger, der in Befolgung seiner Pflicht als Wehrdienstleistender seine „Arbeitskraft“ nur vorübergehend zur Verfügung stellt, und nicht mehr den Soldaten vor Augen hatte. Weiter oben wurde gezeigt, dass die Versorgungsgesetze bis zum Ersten Weltkrieg diesen letztlich zwangsläufigen Effekt der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in keiner Weise widerspiegelten, warum kam es also nun zu diesem Gesinnungswandel ? Michael Geyer betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der „gentrifica- tion“ des Soldatenstandes, die letztlich durch die Einführung der Wehrpflicht aus- gelöst worden sei : Nicht weil nun jeder arme Mann eingezogen wurde, sondern weil auch der reiche Mann im Prinzip wehrdienstpflichtig war, sei eine neue Basis für die Militärversorgung notwendig geworden.61 Es ist wohl davon auszugehen, dass bei ei- nem überwiegenden Teil der Soldaten des Ersten Weltkriegs  – den Angehörigen des ländlichen ebenso wie des städtischen Proletariats  – Berufs- und Arbeitsfähigkeit ein und dasselbe waren, diese Unterscheidung macht daher tatsächlich nur dann Sinn, 59 Vgl. Dittrich, Anleitung. 60 Selbst das Anfang 1918 gegründete Ministerium für soziale Fürsorge, das bei den Verhandlungen über ein neues Militärversorgungsgesetz darauf drängte, die Superarbitrierungskommissionen „gemischt“ zu besetzen, d. h. in die Kommissionen auch Zivilärzte zu berufen bzw. Fachleute aus dem Bereich des Arbeiterunfallversicherungswesens, die in der Lage waren, berufsbezogene Schäden zu bewerten, blieb erfolglos ; siehe Kapitel 2.4.6. 61 Geyer, Vorbote, S.  235.
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Die Wundes des Staates
Untertitel
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Autoren
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2015
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
586
Kategorien
Geschichte Nach 1918
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