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normative Rahmen der Kriegsbeschädigtenversorgung während des Krieges
Die Bezüge von Angehörigen vor der Verlautbarung des neuen Unterhaltsbeitrags-
gesetzes im Jahr 1917 sind kaum anzugeben, weil die Berechnungsbasis für die Höhe
der Unterhaltsbeiträge schwer durchschaubar ist.93 Erst mit dem neuen Gesetz wurde
dies einfacher. Nun erhielt jeder Angehörige eines Kriegsbeschädigten in Wien zwei
Kronen pro Tag, gedeckelt waren diese neuen Unterhaltsbeiträge durch die Festlegung,
dass die Summe der bezogenen Unterhaltsbeiträge aller vor der Einrückung des Sol-
daten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen zwölf Kronen täglich nicht
übersteigen durfte. Es fällt auf, dass Angehörige gegenüber den Kriegsbeschädigten –
wenigstens bis zur Einführung der Zuwendungen im Jahr 1918 – wesentlich besser
gestellt erscheinen : Während jeder und jede Angehörige im Monat 60 Kronen erhielt,
konnte der Kriegsbeschädigte selbst lediglich 21 Kronen lukrieren. Die Versorgung der
Angehörigen war also tatsächlich wesentlich „großzügiger“ organisiert gewesen als die
der Kriegsbeschädigten. Aus der Parlamentsdebatte zum neuen Unterhaltsbeitrags-
gesetz von 1917 ist erkennbar, dass der Bezug der Unterhaltsbeiträge zu Beginn des
Krieges durchaus eine einigermaßen ausreichende Alimentation geboten hatte.94 Und
auch noch vor der Beschlussfassung des Gesetzes über die Zuwendungen im März
1918 wurde festgestellt, dass zwar die finanzielle Versorgung von Kriegsbeschädigten
im Vergleich zum Deutschen Reich in Österreich äußerst schlecht, jene der Angehö-
rigen aber verhältnismäßig gut sei.95 Im Bereich der Versorgung der Angehörigen war
es daher – abgesehen von den Schwierigkeiten, einen Anspruch tatsächlich durchzu-
setzen
– vor allem die galoppierende Inflation, die im Verlauf des Krieges trotzdem zu
Problemen führte.
2.4.5 Gescheiterte Reformen
Warum aber wurden die Angehörigen von Kriegsbeschädigten um so viel besser be-
handelt als die Kriegsbeschädigten selbst ? Wie konnte der abgeleitete Anspruch mehr
93 Folgt man dem Bericht des Ausschusses, der die Neufassung des Unterhaltsbeitragsgesetzes ausarbeitete,
gab es nach der alten Regelung 155 verschiedene Sätze von Unterhaltsbeiträgen ; ebd., XXII. Session,
1917, Beilage Nr. 459, S. 2.
94 Ebd., XXII. Session, 20. Sitzung v. 14.7.1917, S. 1005–1031, Debattenredner aller Fraktionen wuss-
ten von Behördenwillkür bei der Anerkennung der Ansprüche von Angehörigen auf die Fortzahlung
der Unterhaltsbeiträge zu berichten, die Feststellung des Ministers für Landesverteidigung, wonach die
Höhe der Beiträge zu Beginn des Krieges ausreichend gewesen sei, blieb aber unwidersprochen. Zu ei-
nem ähnlichen Schluss kommt auch Gustav Marchet, der allerdings einschränkte, dass nur Angehörige
auf dem flachen Land zu Beginn des Krieges mit den Beiträgen ein gutes Auskommen gefunden hatten,
die Beiträge aber für größere Städte von Anfang an knapp bemessen gewesen waren ; Marchet, Die
Versorgung, S. 9f.
95 Sten. Prot. AH RR, XXII. Session, 1918, Beilage Nr. 993, S. 4.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918