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Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Seite - 89 -
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89Resümee Aus Sicht des Wehrpflichtigen war das Tauschgeschäft Wehr- gegen Versorgungs- pflicht eines, das eindeutig zu seinem Nachteil ablief. Die Leistungen, die der Staat zur Verfügung stellte, waren definitiv unzureichend. Weder der Kriegsbeschädigte noch seine Angehörigen wurden vom Staat in einer Weise versorgt, die als existenzsichernd bezeichnet werden kann. Das heißt : In der Praxis kam der Staat seiner Pflicht nicht oder nur ungenügend nach. Entscheidend ist aber, dass dieses Versäumnis sich nicht daraus erklärt, dass der Staat seine grundsätzliche Verpflichtung negiert hätte, son- dern vielmehr daraus, dass das System, das die Versorgung der Kriegsbeschädigten hätte leisten sollen, strukturell nicht in der Lage war, die Anforderungen zu erfüllen. Das machte für die große Gruppe der Betroffenen zwar keinerlei Unterschied  – denn ob die individuelle Not aus staatlicher Ignoranz oder prinzipieller Unmöglichkeit re- sultierte, dürfte die Kriegsbeschädigten nicht sonderlich interessiert haben  –, für die weitere Entwicklung, insbesondere für das Verhältnis zwischen Staat und Individuum, ist diese Feststellung aber sehr wohl von Bedeutung. Wie oben gezeigt wurde, stellte die Regierung die Legitimität der Ansprüche nie grundsätzlich infrage, es waren vielmehr einerseits verfassungsrechtliche und anderer- seits staatsfinanzielle Gründe, die den Ausbau der Kriegsbeschädigtenfürsorge limitier- ten, Regelungen immer nur auf Basis von Provisorien erlaubten und dafür verantwort- lich waren, dass nur eingeschränkte Leistungen zur Verfügung gestellt wurden. Bedenkt man, dass das Staatsbudget bis zum Ersten Weltkrieg den Posten „Sozialausgaben“ nicht kannte und das Steuersystem daher auch einnahmeseitig überhaupt nicht darauf ausgelegt war, dem Budget die nötigen Summen für solche Ausgaben zuzuführen, so verwundert es auch nicht weiter, dass es für die Fürsorgemaßnahmen viel zu geringe Mittel gab. Die Tatsache aber, dass von allen Seiten betont wurde, die Ansprüche wür- den nur wegen der fehlenden Mittel nicht vollständig befriedigt, weist eindeutig darauf hin, dass die Ansprüche als solche durchaus anerkannt waren. Zweifellos bedeutete diese Anerkennung nicht automatisch, dass es auf jeden Fall angemessene Leistungen gegeben hätte, wenn diese finanzierbar gewesen wären. Als Beweis für die Anerken- nung reicht aber allein die Tatsache, dass der Staat überhaupt  – und sogar erhebliche  – Mittel für die Kriegsbeschädigtenfürsorge zur Verfügung stellte, statt den Standpunkt einzunehmen, diese Angelegenheit sei nicht seine. Und spätestens mit der Wiederein- berufung des Reichsrates im Frühling 1917 setzte sich  – wenigstens theoretisch  – die Ansicht durch, dass die Höhe der staatlichen Leistungen nicht etwa bloß einem Exis- tenzminimum entsprechen solle, sondern sich vielmehr an jenem Einkommen orientie- ren müsse, das der Kriegsbeschädigte vor seinem Einrücken bezogen hatte.120 120 Es sei nur am Rande bemerkt, dass dem Staat damit eine weitere, völlig neuartige Aufgabe zuwuchs, nämlich sich sehr weitgehend mit der Einkommenssituation seiner Bürger beschäftigen zu müssen.
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Die Wundes des Staates Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Die Wundes des Staates
Untertitel
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Autoren
Verena Pawlowsky
Harald Wendelin
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2015
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79598-8
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
586
Kategorien
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