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92 Die Gesetzgebung der Monarchie
in den Bestimmungen über den Weiterbezug von Unterhaltsbeiträgen, wo festgelegt
wurde, dass Familienangehörige im Sinne des ABGB ungeachtet einer finanziellen Ab-
hängigkeit vom Wehrpflichtigen Anspruch auf den Bezug der Beiträge hatten, wenn
dieser starb oder invalid wurde. Am Ende des Krieges scheint damit ein System etab-
liert zu sein, dass den Anspruch auf staatliche Leistungen garantiert, die von der Rolle
des männlichen Staatsbürgers abgeleitet sind. Auf diese Weise baut ein wesentlicher
Teil der Sozialgesetzgebung auf einem Familienmodell auf, das Erwerbstätigkeit als
männlich definiert. Anders gesagt : Der Staat übernimmt die Rolle des männlichen
Ernährers, wenn dieser – sei es wegen Abwesenheit, Invalidität oder Tod – seiner Ver-
pflichtung nicht nachkommen kann ; er wurde – wie es Maureen Healy für Österreich
formulierte
– zum „surrogate husband“.123 Damit wurde ein Modell von Familie absolut
gesetzt, das zu dieser Zeit in der Mehrheit der Fälle wohl nicht der Realität entsprach,
blendete es doch etwa Frauenerwerbsarbeit völlig aus.
123 Maureen Healy, Becoming Austrian : Women, the State, and Citizenship in World War I, in : Central
European History, 35 (2002) 1, S. 1–35, hier S. 19. Die Integration in das Konzept der Staatsbürger-
schaft funktionierte bei Frauen anders als bei Männern. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Susan
Pedersen, Gender, welfare and citizenship in Britain during the Great War, in : The American historical
Review, 95 (1990) 4, S.
983–1006 ; Pedersen untersucht die Geschichte der „separation allowance“, einer
staatlichen Beihilfe, die während des Ersten Weltkrieges in Großbritannien unter ähnlichen Bedin-
gungen wie die Unterhaltsbeiträge ausbezahlt wurde. Sie kommt zu einem ganz ähnlichen Schluss, wie
dem hier gezogenen.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918