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99Die
„Erfindung“ der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge
der „k. k. Arbeitsvermittlung an Kriegsinvalide“, die dann im letzten Kriegsjahr in die
Landeskommissionen inkorporiert wurden. Wichtige Verwaltungsstrukturen der In-
validenversorgung, die zum Teil auch noch für Einrichtungen der Ersten Republik
prägend sein sollten, waren damit nach wenigen Kriegsmonaten festgelegt. Parallel
zur Etablierung dieses Verwaltungsapparates wurden auch die Abläufe geregelt, an die
Militär und zivile Verwaltung bei der Versorgung verwundeter und erkrankter Solda-
ten – von ihrer Verletzung bis zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben – gebun-
den waren.17
Kennzeichnend für die neuen Verwaltungsstrukturen war allerdings, dass einige ent-
scheidende Festlegungen nicht getroffen wurden : Der Staat
– in diesem Fall verkörpert
durch das Ministerium des Innern – gab zunächst nur die Impulse, seine Initiative in
diesem Feld war rein subsidiär. Er verordnete Einrichtungen auf Landesebene, überließ
aber die konkrete Ausformung und vor allem die Finanzierung der Invalidenfürsorge
den Ländern. Trotzdem ist unübersehbar, dass sich der Gedanke der staatlichen Zu-
ständigkeit für die Kriegsbeschädigtenfürsorge als unumstößliche und aus dem Krieg
und der Generalmobilmachung abgeleitete Notwendigkeit durchzusetzen begann. Im
Laufe des Krieges sollte sich der Druck auf das zuständige Innenministerium, im Be-
reich der Kriegsbeschädigtenfürsorge energischer aufzutreten und mehr, auch finanzi-
elles Engagement zu zeigen, noch verstärken, wobei dieser Druck paradoxerweise nicht
unwesentlich von den durch das Ministerium selbst ins Leben gerufenen Landeskom-
missionen ausging, die unmittelbar mit den Unzulänglichkeiten der staatlichen Kriegs-
beschädigtenfürsorge zu kämpfen hatten. In einem ständigen Prozess des Forderns
vonseiten der Landeskommissionen und Zugestehens vonseiten des Ministeriums
verstärkte sich die staatliche Involvierung mehr und mehr, da immer offensichtlicher
wurde, dass die alleinige Zurverfügungstellung eines Verwaltungsapparates den Proble-
men nicht gerecht werden konnte. Die Anstrengungen nehmen sich aus heutiger Per-
spektive eher bescheiden aus : Die gesamtstaatliche Initiative erschöpfte sich letztlich
in der Anordnung, bestehende Maßnahmen zusammenzufassen und zu koordinieren.
Bemerkenswert ist jedoch, dass der allein durch die große Zahl der Kriegsbeschädigten
entstandene Handlungsbedarf auf der Ebene des Zentralstaates – und zwar eben auch
bei den zivilstaatlichen Stellen – erkannt und ernst genommen wurde.
Wie die staatlich organisierte soziale Kriegsbeschädigtenfürsorge aufgebaut sein
sollte, wurde – ebenfalls schon 1915 – in einem idealtypischen Reintegrationsmodell
festgelegt, das folgende fünf Schritte vorsah : 1. Erste Heilung, 2. Nachbehandlung,18
17 Siehe etwa die knappe Zusammenfassung in : Denkschrift über die von der k. k. Regierung aus Anlaß des
Krieges getroffenen Maßnahmen, Bd. 1 : Bis Ende Juni 1915, Wien 1915, S. 255–258.
18 Die Nachbehandlung wird – in Abgrenzung von der Ersten Heilung („Heilbehandlung“) – häufig auch
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918