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109Militär-
und Zivilverwaltung
deskommissionen in finanzielle Schwierigkeiten. Die böhmische Landeszentrale
beispielsweise betonte im Jänner 1918, dass sie die dadurch entstandenen Kosten im
laufenden Jahr nicht mehr aus eigenen Mitteln werde decken können.61 Auch die Re-
serven der Galizischen62 und der Mährischen63 Landeskommission waren zu diesem
Zeitpunkt fast ganz erschöpft. Andere Landeskommissionen beriefen sich überhaupt
darauf, dass ihre Mittel, die ja keine „Staatsmittel“ waren, nicht für die von der Zivil-
staatsverwaltung zu finanzierenden Nachbehandlung bestimmt seien.64 Dabei war der
finanzielle Aufwand der Zivilverwaltung im Vergleich zu jenem des Militärs ohnehin
sehr gering. Zu diesem Zeitpunkt – also Anfang 1918 – trug immer noch die Mili-
tärverwaltung die Hauptlast der medizinischen Behandlung der Kriegsbeschädigten :
86 % aller im Jänner 1918 medizinisch versorgten Kriegsbeschädigten standen in Be-
handlung der Militärverwaltung und nur für den kleineren Rest von 14 % sorgte die
österreichische oder ungarische Zivilverwaltung.65
Dass die rein zeitlich definierte Abgrenzung der Zuständigkeit im Widerspruch
zur oben genannten Kompetenzverteilung nach Aufgaben stand, war eine Quelle
unzähliger Behinderungen. Deshalb war zum Beispiel auch die Prothesenzuteilung
an amputierte Kriegsbeschädigte ein häufiger Streitpunkt. Die Anpassung einer Pro-
these konnte aus medizinischen Gründen meist erst lange nach der Verwundung und
Amputation erfolgen, die Militärverwaltung aber, zu deren Aufgaben die Prothe-
senzuteilung eigentlich gehörte, fühlte sich zu diesem späten Zeitpunkt für den be-
treffenden Kriegsbeschädigten oft gar nicht mehr zuständig.66 Das Modell der fünf
Wiedereingliederungsschritte erwies sich grundsätzlich als zu starr für die Praxis,
und das lag nicht nur, aber doch sehr wesentlich daran, dass der Prozess der Heilung
von Fall zu Fall äußerst unterschiedlich verlief und sich nicht in ein Zeitkonzept
pressen ließ. Hinzu kamen lange Wartezeiten auf die Unterbringung in bestimmten
Heilanstalten oder Invalidenkursen sowie Versorgungsschwierigkeiten und Verzöge-
rungen bei der Superarbitrierung. Es zeigte sich also aus vielerlei Gründen, dass es
weder zielführend noch überhaupt möglich war, die einzelnen Schritte scharf von-
einander zu trennen, also etwa mit der Schulung erst während der Nachbehandlung
und nicht schon während der Ersten Heilung zu beginnen. Die Grenzen zwischen
den einzelnen Maßnahmen der sozialen Kriegsbeschädigtenfürsorge waren daher
fließend. Und in der Praxis ging die medizinische Nachbehandlung (die „Nachhei-
61 Ebd., Kt. 1356, 1808/1918.
62 Ebd., Kt. 1357, 3384/1918.
63 Ebd., Kt. 1553, Sa 8, 15420/1918.
64 Ebd., Kt. 1358, 3848/1918, S. 20.
65 Ebd., Kt. 1357, 2052/1918.
66 K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1917, S. 245.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918