Seite - 110 - in Die Wundes des Staates - Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
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110 Die soziale Kriegsbeschädigtenfürsorge im Krieg
lung“) in die Schulung über ; die Schulung wiederum hing eng mit der Berufsbe-
ratung zusammen. Auch die zentrale Verordnung, mit welcher der Staat seine Zu-
ständigkeit für die Schulung der Kriegsbeschädigten begründete, hatte das gewusst,
indem sie „ärztliche Nachbehandlung und praktische Schulung“67 in einem Atemzug
nannte. Die Realität der Doppelzuständigkeit von Militär und Zivilstaatsverwaltung
stand dem freilich entgegen.
Häufig stellte die Superarbitrierung die entscheidende Zäsur in der Kette aufei-
nander folgender Rehabilitierungsmaßnahmen dar. Diese militärische Begutachtung,
die der Entlassung eines Soldaten aus dem Militärverband voranging, bildete eine
gleichsam magische Grenze. Sie war als Vorgang zwar klar geregelt68
– es gab Superar-
bitrierungskommissionen bei den Ersatzkörpern, die regelmäßig zusammentrafen und
auf Basis der Konstatierungsbefunde, also militärärztlicher Zeugnisse, über die weitere
Verwendung, die vorübergehende oder dauerhafte Entlassung der kriegsinvaliden Sol-
daten entschieden –, doch es gab große Unklarheiten hinsichtlich des genauen Zeit-
punktes der Superarbitrierung, und auch die Beschlussfassung selbst konnte sich lange
hinziehen. Theoretisch sollte die Superarbitrierung erst nach der Nachbehandlung und
Schulung erfolgen,69 und ebenso theoretisch sollte sie auch jenen Zeitpunkt markieren,
an dem die Zuständigkeit für den Kriegsbeschädigen von der Militärverwaltung auf
die Zivilverwaltung – also vom gemeinsamen Heer auf die österreichische bzw. unga-
rische Regierung – überging. Der Kriegsbeschädigte, der dann nicht länger Militär-
person war, durfte seine Ansprüche nicht mehr an das Militär, sondern musste sie an
den österreichischen (oder ungarischen) Staat richten.70 Wenn er zu diesem Zeitpunkt
gerade in Nachbehandlung und Schulung in einer militärischen Anstalt stand, sollte er
diese
– bei Kostenübernahme durch die Zivilverwaltung
– eigentlich noch abschließen
dürfen. In der Praxis wurden Kriegsbeschädigte aber im Zuge ihrer Superarbitrierung
oft einfach aus Armee und Anstalt zugleich entlassen.71
67 RGBl 1915/260.
68 In der im Krieg aktuellen Superarbitrierungsvorschrift vom Stand des Jahres 1915, die auf der Aller-
höchsten Erschließung v. 8.11.1885 beruhte : Superarbitrierungsvorschrift für die Personen des k.u.k
Heeres vom Jahre 1885 (Neu durchgesehen), Wien 1915 ; zu den Veränderungen während des Krieges,
die vor allem darauf abzielten, die Superarbitrierungen zu beschleunigen siehe K.k. Ministerium des
Innern, Mitteilungen, 1917, S. 301f und S. 329.
69 Erlass des KM v. 18.8.1915, in : K.k. Ministerium des Innern, Mitteilungen, 1915, S. 15–19.
70 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1357, 2052/1918.
71 Z. B. die Beschwerde der mährischen Landeskommission über diese Praxis ; ebd., Kt. 1362, 21043/1918.
Es gab für Kriegsbeschädigte, die nach Ablauf des ersten Jahres aus der Militärversorgung entlassen wur-
den, aber noch in Schulung standen, Stipendien des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, sie wurden
aber nur bei „Bedürftigkeit und Würdigkeit“ gewährt ; Denkschrift über die von der k. k. Regierung aus
Anlaß des Krieges getroffenen Maßnahmen, Bd. 4 : Juni 1916 bis Juni 1917, Wien 1918, S. 264.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918