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118 Invalidenschulung
schulen in Wien-Favoriten bildeten nur eine Filiale des Reservespitals, wenn auch die
größte und – wie betont wurde – den „Glanzpunkt“26 desselben. Als Barackenanlage
auf Gründen des Ziegelindustriellen Richard von Drasche-Wartinberg am südlichen
Wiener Stadtrand errichtet,27 war dieser Schulkomplex dermaßen groß dimensio-
niert, dass er über Wien und Niederösterreich hinaus Bedeutung erlangte. Es waren
die größten und am besten eingerichteten Invalidenschulen des Landes : Hier wur-
den Kriegsbeschädigte aller Kronländer geschult, und aufgrund ihres ausgeklügelten
Organisationskonzeptes sowie ihrer innovativen Prothesentechnik hatte die Anstalt
Vorbildwirkung für die gesamte Monarchie. Niederösterreich verfügte damit als ein-
ziges Kronland über die gesamte Palette von Ausbildungsmöglichkeiten für Kriegs-
beschädigte.28 Zahlreiche Publikationen vermittelten reich bebildert einen Eindruck
vom emsigen Getriebe in den Invalidenwerkstätten. 1917, als die Schulungen stärker
von der medizinischen Nachbehandlung getrennt und die Sanitätsanstalten auf die
Durchführung der eigentlich der Arbeitstherapie zugerechneten Beschäftigungskurse
beschränkt wurden, erhielt das Reservespital Nr. 11 einen Sonderstatus. Es war fortan
das einzige Spital, das vollwertige Berufsausbildungskurse anbieten durfte.29
Die Ausmaße der Anlage waren gewaltig. Sie umfasste 14 Schulungs- und Verwal-
tungs- sowie 30 Unterkunftsbaracken, eine Anstaltskirche, einen Operationssaal, eine
Leichenhalle, eine Desinfektionsstation und ein Arrestlokal. Es gab zudem einen Mu-
sikpavillon, der von einer „Invalidenkapelle“30 bespielt wurde, eine Bibliothek mit Le-
sesaal, ein Portiersgebäude inklusive Tabaktrafik. Alleen und Blumenrabatte schmück-
ten den Komplex und gewährten, wie der Direktor betonte, „einen außerordentlich
26 AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt. 1364, 4580/1918, Protokoll der Sitzung in den Invalidenschulen v.
16.12.1918.
27 Adresse : Wien X, Schleiergasse 17. Die in der Zwischenkriegszeit gebräuchliche, aus dem Straßenna-
men abgeleitete Bezeichnung „Schleierbaracken“ dürfte erst nach dem Krieg entstanden sein. Die ersten
zehn Werkstätten waren noch in einem Schulgebäude in Wien X, Sonnleithnergasse 32 untergebracht
gewesen. Die Übersiedlung in die Baracken erfolgte im August 1915 ; Josef Pokorny, Die Arbeitstherapie
in den Invalidenschulen, in : Spitzy, Unsere Kriegsinvaliden, S.
78–83, hier S.
79. Die Baugründe wurden
auf Basis des Kriegsleistungsgesetzes (RGBl 1912/236) angefordert ; AT-OeStA/AdR BMfsV Kb, Kt.
1382, 6941/1921. Teile das Areals gehörten dem Wiener Stadterweiterungsfonds bzw. waren öffentliches
Gut ; ebd., Kt. 1403, 19472/1922, Vorakt 26951/1921.
28 Ebd., Kt. 1357, 2780/1918, Vortrag Bernhart, Über gewerbliche Berufsberatung und Invaliden-Schu-
lung.
29 K.k. Ministerium für soziale Fürsorge, Mitteilungen, 1918, S. 129. Der gewerbliche Unterricht in den
Baracken unterstand auch dem Ministerium für öffentliche Arbeiten ; K.k. Ministerium des Innern, Mit-
teilungen über Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Wien 1917, S. 268.
30 Spitzy, Unsere Kriegsinvaliden, S. 16 ; Klemens Dorn, Heimatbuch des 10. Wiener Gemeindebezirks,
Wien 1928, S. 134f, zit. in : Mooshammer/Mörtenböck, Schleierbaracken, S. 7f.
Die Wundes des Staates
Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Wundes des Staates
- Untertitel
- Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938
- Autoren
- Verena Pawlowsky
- Harald Wendelin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79598-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918