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senheit. Erst jetzt, wo die historisch'musikali.
schen Studien wieder zu hohen Ehren kommen,
dämmert es allmählig wieder wie eine neue
Wahrheit im allgemeineren Bewußtsein der
künstlerischen Welt: daß H. bisher nur höchst
lückenhaft gekannt und gewürdigt worden;
daß er in seinem langen Leben dreierlei schr
unterschiedenen Ausdruck gehabt habe, in
seinem wirklichen Gesicht sowohl, wie im Ge-
sicht seiner Tondichtungen, daß er nur im
Greisenaltcr einigermaßen wie ein D-octor
der Tonkunst dreingeschen, daß es noch einen
ganz anderen H. gebe, als den H. der „Schö-
pfung", der Londoner Symphonien und der
späteren größeren Streichquartette"... S. 32l:
„Zu allen Zeiten« hat H. mit den Sprüngen
seines Humors das oberflächliche Urtheil ge<
foppt und verwirrt. Eden jene übermüthigen
Spiele des Witzes und der Laune waren es,
die den Kaiser Joseph, einen eifrigen Musik-
freund, verführten, seinen berühmten H. doch
mehr nur als einen guten musikalischen Spaß-
macher zu schätzen, während gründlichere Ken-
ner gleichzeitig den anmuihuollen Nosetti
warnten vor der Nachahmung H.'schen Ernstes
und Ticfsinnes, den er doch nicht erreichen
könne! Und in den Tagen des tändelnden
Rossinismus geschah es gar, daß man aus den«
selben Sätzen, aus welchen die Leute mit Zopf
und Haarbeutel vordem H. den Spaßmacher
herausgehört, nun H., den Doctor. zusam-
menbuchstabirte. Seine liebenswürdige, selig-
vergnügt dahinschwcbende Clavk'rphantasic
(Oäur, 0i). 68) wurde vor etwa 4U Jahren
als Ouvertüre einer mit H.'scher Musik aus«
staffirtrn komischen Operette vorgesetzt und
erschien damals, vermuthlich wegen ihrer
graziösen contrapunktischcn Nachahmungen
und der keck originellen Modulationen, den
mit italienischem Gegaukel verwöhnten Ohren
viel zu ernst, streng und gedankenschwer!" . . . .
und S. 323: „Es gibt mancherlei Aussprüchc
H.'s, in denen er die unmittelbare Eingebung
dieses Genius als das A und O des schaffenden
Künstlers hinstellt und dagegen den Regeln
der Schule blutwenig Credit gibt. Diese
Aussprüche zeigen uns eben den ohne Reflexion
schassensbegeistertcn, den wahrhaft naiven
Meister, der folgerecht ein sehr schlechter
Doctor war. Man könnte sie als Vorwort
just hinter den Titel seiner Sonaten drucken.
Vorab jene schlagende Sentenz, wie man
am sichersten also componirc, daß es auch
„im Herzen sitzen bleibe." Der Tondichter ver-
sichere sich vor allen Dingen einer klaren und Haydn Joseph
entschiedenen Stimmung; hält er diese fest,
dann zeugt es auch die folgerechte und kunst.
gemäße Ausführung und das U^brige macht
sich von selber. Für's Handwerk des Satzes
galt ihm dann die Diktatur des Genius, der
sich seine eigenen Gesetze macht. „Hat Mozart
es geschrieben, so hat er seine gute Ursache dazu"
— so belehrte H. kurzweg jene Kritiker, die
sein Urtheil über die unharmonischen Quer<
stände in der viel befehdeten Einleitung zu des
großen Freundes O-Quartctt wissen wollten,
und gegen Albrechts bergcr, der gar Quar«
tenfolgen aus dem reinsten Satze zu verbannen
gedachte, sprach er das schlagende Wort: „die
Kunst ist frei und soll durch knne Handwerks»
fcssel beschränkt werden, das gebildete Ohr muß
entscheiden und ich halte mich befugt wn- irgend
einer, hierin Gcsetze zu geben. Solche Künste»
leien haben keinen Werth; ich wünschte lieber,
daß es einer versuchte, einen wahrhaft neuen
Menuett zu componircn." Nicht zu allgemeinen
Grundsätzen soll man solche Worte stempeln;
denn ein Maß, welches einem Haydn recht, ist
eben auch nur einem Mozart billig. Aber zur
Charakteristik unsers Meisters soll man die oft
gehörten Sprüche immer wiederholen. Wir kön<
nen und dürfen so naiv nicht mehr componiren;
und gerade darum wollen wir H.'s schlichte
Claviersonaten recht fest halten, weil sie keiner
mehr nachmachen kann." — Gaßner charab
terisirt H. folgendermaßen.» „H ay d n war ein
durchaus frommer, katholischer Christ, aber in
der ländlich unschuldigen Weise seines Landes.
Ihm war wie seinem Lande herbe Ascetik oder
streitsüchtiges Festhalten ebenso ferne, wie die
kühl-prächtige Salbung des römischen und
venetianischen Gottesdienstes. Er war, wie er
öfters bekannte, nie freuden- und jubeluoller,
als wenn er an Gott dachte, der alles so schön
und wohl gemacht. Mit der ganzen tausend-
lebigen, froher Pulse vollen Natur jubelte und
lobte er und betete innig, aber zutrauens« und
anniuthüvoll wie ein Kind. Mit diesem Sinne,
und auf diesem geistigen Standpuncte konnte
nun Haydn mit seinen Opern nicht in der
Zeit Gluck's und Mozart's Stand halten.
Scenischer Verstand, scharfe Charakteristik,
schnelle starke Entscheidung, die Selbstentauße-
rung und der Eifer, die dem Dramatiker unent-
behrlich sind, waren scincin ländlich-friedlichen
Sinne fremd. Seine Opern (so viel wir davon
kennen) enthalten Musik genug, aber wenig
Drama. Allein eben dieser Sinn im Vereine
mit der mühseligen F ux'schen und der ganz
nach Außen gekehrten Musikantenschule und
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Hartmann-Heyser, Band 8
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Hartmann-Heyser
- Band
- 8
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1862
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon