Seite - 140 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Hartmann-Heyser, Band 8
Bild der Seite - 140 -
Text der Seite - 140 -
Haydn Joseph Haydn Joseph
seinem ausdauernden Arbeiten und Beobacht
tcn, vollendete ihn als Instrumental-Compo-
nisten. Er ist nicht bloß der Schöpfer der
(neueren) Symphonie und des Quatuors,
sondern auch der Meister in beiden zu nennen.
Kraft seiner tiefern Idee ist Beethoven —
und er zuerst — zu neuen, höheren Offenba-
rungen geführt worden. Aber in dem, was H.
gab, steht er einzig und unentbehrlich da. Freude,
Anmuth, Zartheit, natürlicheInnigkeit und Tief«
sinnigkeit, die ganze Scala der Empfindungen
von ausgelassenem Jubel und toller Neckerei
bis zu den Schrecken leidenschaftlicher Ver-
störung durchlief er. Aber Maß und Anmuth
blieb ihm stets zur Seite, stets sein freundlicher
Sinn gewärtig. Selbst wenn er das Harte
berührt, thut er es wie ein liebender Vater, der
das Kind ermahnt und abschreckt vom Unrech-
tcn, aber mit Lächeln, daß es noch im Bangen
hofft und liebt und bald wieder lächelt. Und
dieser Sinn endlich macht ihn zum ewigen
Muster für alle Kunstjünger. Kein anderer
Künstler hat so Maß zu halten gewußt als H.,
bei dem nichts zu lang oder zu kurz, Alles, das
Einfältige wie das Kunstreiche, an seinem Orte
und in echter Weise da ist. Kein Künstler hat
so unschuldvoll den kleinsten Gedanken ange-
nommen, den Gott ihm gab, und so innig und
treu gepflegt, daß er zu einem mächtigen Baume
künstlerischer Erkenntniß erwüchse; keiner hat
die ihm untergebenen Geschöpfe, seine Instru»
mente, so reinlich und angemessen und liebevoll
gehegt als er. Seine Instrumentation ist klar
wie der blaue Himmel, und durchsichtig rein,
auch wenn sie stürmt und nachtet. Jedes In-
strument geht seinen eignen natürlichen Gang,
und wie er ihn erkannt hat, kann er sich getrost
einem oder zwei einzelnen anvertrauen, so gut
wie dem mächtigen Chor Aller; kein Instru-
menlist hat so zart singen und so gewaltig lär-
men können als er. Man müßte ihn ewig be-
neiden, wenn man ihn nicht ewig lieben müßte
und dankbar verehren." — De Luca über
Haydn: „H. ist der Liebling unserer Nation,
dessen Charakter sich jedem seiner Stücke ein-
drückt. Sein Satz hat Schönheit, Ordnung,
Reinigkeit, eine feine und edle Einfalt, die schon
eher empfunden wird, als die Zuhörer noch
dazu vorbereitet sind. Es ist in seinen Cas-
sationen, Quattro, Trio ein reines helles
Wasser, welches ein südlicher Hauch zuweilen
kräuselt, zuweilen hebt, in Wellen wirft, ohne
daß es seinen Boden und Abschuß verlaßt. Die
monotonische Art der Stimmen mit gleich-
lautenden Octaven hat ihn zum Urheber (was jedoch Dies in seiner Lebensskizze Haydn's
(S.207) bestreitet. Anm.d.Her.), und man kann
ihr das Gefallige nicht absprechen. In Sympho-
nien ist er ebenso männlich stark als empfind-
sam, in Cantaten reizend, einnehmend, imd in
Menuetten natürlich reizend. Kurz H. ist in
der Musik das, was Gellert in der Dichtkunst
ist" (vielleicht würde de Luca heute sagen:
was Göthe in der Dichtkunst ist). sD e
Luca, das gelehrte Oesterreich 1.2. S. 311^.
Haydn und Mozart iu Parallele. Wenn wir
Haydn und Mozart zusammenstellen, so
zeigt sich uns eine heilige Einheit in der
individuellsten Mannigfaltigkeit und die ver«
schiedenen Verhältnisse Beider stören das Fort-
schreiten der Geister nicht; wenn schon wir
in der Bestimmung des Schicksals Beider auf
merkliche Verschiedenheiten stoßen. — Musik
der Väter weckte den Tonsinn der Söhne. —
M. war der Sohn eines musikalischen Vaters;
H. weckten die Gesänge und Accordc der länd-
lichen Zither seiner Eltern. — Der Sohn des
Musikers, dessen Genie früher gepflegt, sich
früher
entwickelte, hatte mit weniger Hindcrissen zu
kämpfen, als der Sohn des Rademnchers, er
schritt früher zur Vollendung und wurde aber
auch früher vollendet. — M.'s Genius wurde
früh unter den gefälligen Musen des fröhlichen
Wiens gepflegt, sonnte sich in Hesvenens üpvi'
gen Gefilden. — H. lebte auch in Wien, aber
seine, Jugend verwundeten nur die Dornen,
während M. auf ihren Nosen gewiegt wurde.
Nach Italien kam H. nie. So ernst wie sein
ganzes Leben, führte ihn auch das Schicksal in
das Land des tiefsinnigsten Ernstes — nach
England. — Dennoch behielten beide Genien
ihre Originalität und wirkten wohlthätig auf
den Genius ihrer Umgebung. — M. zeigte in
seinen früheren Compositionen einen düstern
Ernst, strengen Contrapunct, und es wäre ein
zweiter Sebastian Bach aus ihm geworden,
hätten ihn Wiens gefällige Musen nicht um-
geben, Italiens Zaubermelodien mit ihren
Vlumenketten nicht umwunden. Aber dabei
wirkte seine Kraft wohlthätig auf die Anmuth
seiner Umgebungen, theilte sich ihnen mit, und
so ward M. Schöpfer jenes neuen Styls, der
italienische Anmuth mit deutscher
Kraf t verbindet. — H.'s frühere Composi«
tionen sind leicht, melodisch, tändelnd, denn er
hörte nichts als gefällige Musik und Porpora
war cm Italiener. Mit diesem heitern Genius,
mit dieser melodischen Seele reiste er nach
England. Die Grazie seiner gefälligen Melo-
dien umwand den düstern Ernst der englischen
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Hartmann-Heyser, Band 8
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Hartmann-Heyser
- Band
- 8
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1862
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon