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Zarcke 99 Jarcke
niß seiner vielfach angefochtenen Wirksamkeit,
Auch bei Jarcke wie bei den meisten Publi»
cisten ist eine Wandlung, aber nicht eine
Wendung in den Ansichten bemerkbar und
tritt dieselbe in dem nach seinem Tode heraus
gegebenen Werke „Principienfragen" am klarsten
hervor. Der Grundgedanke, der sich in diesem
Werke ausspricht, ist: „daß der Staatsadso
lmismus, wie er unter Metternich geHand
habt worden ist, nothwendig zur Revolution
führen müsse, daß er auf die Dauer unhalt-
bar, weil widernatürlich sei, und daß er die
Dynastien mit in den Abgrund ziehe". Die
Hauptschuld, die er demselben zum Vorwürfe
macht, ist die Mißachtung und Mißhand
lung der Airche. Jarcke selbst war ein
treuer Anhänger der Kirche und erkannte nnt
Schrecken, daß Metternich mit der Kirche
nur ein herabwürdigendes Spiel treibe. Das
Metternich'scheSystem war — nach Jarcke —
kirchenfeindlich, ja kirchenmörderisch, unter dem
Aushängschild der eifrigsten. ja ultramontan
sten Kirchlichkeit. Mit großer Geflissenheit
wurde der böse Schein des offenen Bruches
vermieden. Dafür kam aber auch der Kirche
jener Segen nicht zu gute, der sonst dem
Martyrium verheißen ist. Wie ein Baum, den
man auf's Mark anbohrt, langsam dahinsiecht
und endlich verdorrt, so sollten auch der Kirche
die Schlagadern unterbunden und gleichzeitig
ihrem innersten Lebenskerne, so viel Elemente
des Unglaubens, so viel Febronianismus, so
viel Schisma eingeimpft werden, daß im Laufe
einer nicht gar langen Reihe von Jahren ohne
weiteres ausdrückliches Dazuthun des Staates,
gleichsam von selbst, wenn nicht die Vorsehung
mit einem Wunder dazwischen trat, eine Art
von natürlichem Tode erfolgen mußte. Aber
auch der grausamste Despotismus, die gewalt«
thätigste Dummheit der sogenannten Aufklärung
— ich bediene mich nur der Worte Iarcke's —
kann der Kirche Christi niemals im Wesen
schaden. Hätte der moderne Staatsavsolutis»
mus das Christenthum vernichten können, so
wäre damit zugleich der Beweis geliefert ge<
wesen, daß es doch nur uon dieser Welt war.
Aller Berechnung nach mußte die Kirche dem
omnipotenten Staate erliegen. Aber es ist
anders gekommen. Die absolute Staatsweis«
heit, mit allen weltlichen Mitteln, geistigen
und physischen ausgerüstet, den Häuptern der
Kirche tausendmal an Schlauheit und Welt«
gewandtheit überlegen, hat ihr Ziel doch nicht
erreicht. Die Philosophensecte des vorigen
Jahrhunderts hatte die Fürsten überredet, sie wurden durch die Unterdrückung der Kirche
stärker werden. Aber die wirkliche Folge dieses
unglücklichen Kampfes, das eigentliche Ergeb«
niß der auf diesem Felde errungenen Siege
war die große europäische Revolution, welche
jetzt schon seit 60 Jahren den Boden von
Europa nach jeder Richtung aufwühlt. Sie
konnte nicht ausbleiben. Das Christenthum
hat den europäisch»fürstlichen Staat gebaut.
Diesem grub der Absolutismus sein Grab, als
er dessen sittlich-religiöse Grundlage zu zer»
stören begann. Was weiter kommen mußte,
kam. Man verzeichne die Angriffe, welche alle
katholischen Regierungen Europa's der Reihe
nach seit dem Beginne des vorigen Iahrhun«
derts auf die Kirche unternahmen, in eine
Spalte, und stelle auf demselben Blatte ihnen
gegenüber die Umwälzungen, welche eben diese
Lander — Spanien, Portugal, Frankreich,
Venedig, Toscana, Neapel, zuletzt Oesterreich —
erlitten. Die Moral dieser Bilanz ergibt sich
von selbst. Soder nach märzliche Jarcke,
dessen publizistische Richtung in Allem von der
Kirche ausging und zu ihr zurückkehrte. I n
der früheren Zeit — als er das „Berliner
politische Wochenblatt" begründete — eiferte
er, wie er später für die Kirche geschwärmt,
gegen den Liberal ismus der Zeit, gegen
die doctrinäre Sucht, nach flüchtig erhäschten
Abstraktionen, Verfassungsformen zusammen
zu setzen und politische Luftschlösser zu bauen.
Der Zeitpunct, in welchem I . seinen groß»
artigen und kühnen Kampf gegen den Libera«
lismus begann, war günstig gewählt (1331).
da die Sehnsucht nach dem Beharren auf den
festen Formen historischer Entwickelung schon
lebendig genug geworden und die Geschichte
des Liberalismus für den Augenblick einem
kläglichen Abschlüsse sich zu nähern schien.
Frankreich schlug sich damals gerade durch die
Schmälerung einer der drei Staatsgewalten,
der Pairie, eine tiefe Wunde, während ein
großartiger Minister die Revolution in ihr Ufer
zurückzudrängen suchte; in Belgien war ein
ohnmächtiges Gemisch von Widersinnigkeiten;
in England kämpften die Aristokraten; für
Portugal entwarf Don Pedro den Plan
seinem Volke einen Liberalismus aufzunöthi,
gen. den man dort weder kannte noch wünschte;
Griechenland zeigte, wie ein Volk ohne ver«
einenden Mittelpunct eines Herrscherhauses
untergehen konnte; Polen war der inneren
Zwietracht nicht minder als dem Schwerte
des äußeren Siegers anheimgestellt: da erst
eröffnete Jarcke seinen Feldzug gegen den
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Jablonowski-Karolina, Band 10
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Jablonowski-Karolina
- Band
- 10
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1863
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 524
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon