Seite - 72 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Károlyi-Kiwisch, Band 11
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Kaunitz 72 Kaunih
zum Heere sich begab. Also „Frieden um
jeden Preis" war die Instruction, welche
der auf den Aachener allgemeinen Pacisi«
cations' Congreß abgehende Gesandte
mitnahm. Von diesem Stande der Dinge
unterrichtet, wußte Kaunitz mehr als
genug. Da berief die Kaiserin den beur<
täubten Grafen nach Wien zurück, und
übertrug ihm eine Sendung nach 3on»
don. welche er im December 4747 antrat.
Nun war wohl England bisher Oester.
reichs Alliirter, dessen Bestreben aber
unter der Maske bundesgenoffenschaft»
licher Freundschaft weniger auf Oester«
reichs Schutz als vielmehr auf dessen
Schwächung gerichtet. Es ist hier nicht
der Platz, diese Krämerpolitik darzu«
legen, kurz, Kaunitz hatte bald einen
tiefen Blick in die Verhältnisse und Ab»
sichten Englands gegenüber dem Aus»
lande gethan und war zur Ueberzeugung
gekommen, ein Blmdniß Oesterreichs mir
feinem langjährigen Feinde, mit Frank-
reich, sei weniger bedenklich, als die zwei»
deutige, auf Oesterreichs Ausbeutung
berechnete und nur den langsamen Ruin
der Monarchie fördernde Freundschaft mit
England. Der Aachener Friede hatte,
wenn Kaunitz je in seinen Ansichten
zweifelhaft werden konnte, das letzte Be-
denken in seiner Seele zerstört und in
kleinen Dingen bahnte Kaunitz jene
Annäherung an Frankreich an, welche
alsbald eine vollendete Thatsache werden
sollte. Es gibt — und nicht wenig —
Politiker, welche diese That Kaunitzens
als im hohen Grade verwerflich bezeichnen
und von daher alles Unheil ableiten,
welches über Oesterreich vom Westen
gekommen. Es ist nicht unsere Aufgabe,
über diese Ansicht zu streiten, wir haben
hier einfach die Thatsache anzuführen
und die Motive, welche den Staatsmann
zu diesem Schritte drängten. Im Aachener Frieden hatte Oesterreich — und vor«
nehmlich durch die versteckten Intriguen
Englands und Hollands — manchen
Verlust erlitten und hatte Kaunih zi>
nächst den Entschluß gefaßt, was durch
die Friedensunterhandlungen auf der
einen Seite verloren gehen mußte, dmch
andere Unterhandlungen auf der andern
Seite einzubringen. Interessant ist es run
zu beobachten, wie K. schon in Aachen
und nach dem Frieden in Paris als Bot»
schafter, 1730—1732, den in seiner stillen
verschlossenen Seele längst erwogenen
Umschwung der österreichischen Verhält-
nisse allmälig vorbereitete. „Er wurde
äußerlich ganz Franzose. Alle seine Hand»
lungen und Aufmerksamkeiten bezeugten
es. Ungesucht, gewandt, verbindlich,
unaufhörlich, immer in neuer Art und
Wendung, wies er darauf hin, wie es
für Oesterreich und Frankreich nur eine
Gewohnheit, gleichsam nur eine alte Un-
art sei, einander beständig entgegenzu»
wirken, sich zu trennen und zu schlagen,
anstatt sich zu vereinen und zu herrschen;
wie die Kleinen nur frohlockten über den
Zwist der Großen, denen sie sonst unbe»
dingt gehorchen müßten; wie insonderheit
König Friedrich Frankreich wohl be«
nützt, aber nicht unterstützt und so oft er
sein Schafchen im Trockenen gehabt,
hinter Frankreichs Rücken Frieden ge«
schloffen habe." Schon hatte die offent«
liche Meinung sich mit den bevorstehen«
den Veränderungen zu beschäftigen be»
gönnen; dem französischen Hofe wurde
eine Annäherung an den Wiener Hof von
Tag zu Tag weniger fremd, ja noch mehr,
zwischen den Höfen von Versailles und
Berlin trat eine merkliche Kälte ein. Was
Kaunitz als Botschafter in Aachen so
leise und schonend vorbereitet, was er in
Paris so klug und
sicher eingeleitet, sollte
er in der neuen Stellung, die ihm in Wien
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Károlyi-Kiwisch, Band 11
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Károlyi-Kiwisch
- Band
- 11
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon