Seite - 112 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Károlyi-Kiwisch, Band 11
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war, alles das läßt ihm die Geschichte des
HauseS Oesterreich in einem überraschenden, ja
mystischen Lichte erscheinen. Genau bei Licht
besehen, erscheint ihm aber die Politik dieses
Hauses als die Politik der Kleinlichkeit, welche
^nach seinen Berechnungen) in ihrem End»
resultate zur Politik des Selbstmordes sich «e»
stalten muß M diese Ansicht ist K. den Be«
weis schuldig geblieben^. . . . „Um aus die«
sem Fehler sich heraus zu wickeln, ist es die
Aufgabe Oesterreichs, sich an die Spitze der
Sache des Christenthums zu stellen. die
Mission Ungarns gegenüber dem Oriente zu
begreifen, und den natürlichen Schwerpunct
seiner Macht nach Ungarn zu verlegen, da,
durch erringt sich das Haus Oesterreich einm
entscheidenden Standpunct in der Gegenwart,
wird zum Herrn der Zukunft, und die bisherige
kleinliche (!) Politik erbebt sich ^natürlich im
ausschließlichen Interesse Ungarns) zur welt»
historischen Höhe." . . . „Die 1848ger Nevolu«
tion in Ungarn — wenn, meint K. , sie so
genannt werden darf, und sieht ihren größten
Ruhm darin, daß sie es nicht war — war
keine sociale, wie in Frankreich, sondern eine
politische. Sie war nicht eine That dcs Vol-
kes , sondern eine That der Intelligenz, sie
zerriß Ketten, aber durch jene, die dazu be»
rechtigt waren. Der Würfel fiel und die Na-
tion verlor im ersten Augenblicke. Die Sache
änderte sich. Die Wiener Regierung, nachdem
sie materiell erschöpft, moralisch gebrochen,
und mit ihren Experimenten bis „an das Ende
der Welt" gekommen war, degann au die
Umkehr zu denken. Aber da sie mit der An«
ael nichts fangen konnte, griff sie zum Vo«
gelleim, und bot uns statt des Rechtes,
welches ewig ist wie Gott, eine Gnade an,
die vergänglicher ist. als oin laufender Wolken«
schatten. . . . Da dynastischen Interessen uns
gegenüberzustellen ein abgenützter Kunst«
griff ist, so »ersucht man es jetzt, die Inter-
essen der Völker den Ungarn entgegen zu
halten. Aber Ungarn hat sich nun einmal
vorgenommen: nach seiner Art selig zu wer«
den, und will von allen Anträgen nichts
wiffen. Die Zeiten haben sich stark geändert.
I n der alten Welt richteten die Fürsten das
Räderwerk der Zeit, sie bezeichneten die Gc<
genstände des Krieges und zogen demselben
die Grenzen. Das Volk kämpfte, siegte, erlitt
Niederlagen. Das war die Mission dieser
Sclaoengruppen. Aber in der Gegenwart
steht hinter den Schlachtlinien ein zwcitcs
Lager, das der Ideen und der Sachcn. Iroes Volk nimmt an jedem Kampfe Theil. ent.
weder thatsächlich oder durch seine Princi«
pien. Hoffnungen und Besorgnisse. Ein ein«
ziger Augenblick reift Ideen, welche Iadrhun«
derte hindurch als Samen ruhten; gleich den
gepanzerten Männern treten entscheidende
Thaten in den Vordergrund; Bande, für die
Ewigkeit berechnet, zerreißen, sobald die Ver-
flechtung der wahren Interessen der Völker es
erheischt. . . . Wenn K. auf das Verhältniß
Ungarns zu Deutschland zu sprechen kommt,
so unterscheidet er zwischen den Deutschen „da
draußen" (außerhalb Oesterreich) und jenen „hier
inncn" (in Ungarn, welche er als die opforwil-
ligsten und nationalsten Söhne des Vaterlandes
anerkennt), und will weder die Einen noch die
Anderen unter seinen Deutschen gemeint haben.
Die Deutschen, auf die K. ein Auge hat, stno
jene, welche ox olücio geboren werden, ihr
Leben im Bureau hinbringen und sich in
Acten begraben; wie Raupen, wenn sie ihren
eigenen Wald verwüstet haben, schaarenwch'e
auf Wanderung gehen, um zu leben und zu
zehren. Die sich zu Allem hergeben, zu Barri»
kadenhelden und Ministern, zu Demagogen
und Alterego's, je nachdem es kommt und
wie man's braucht. Gebt einem solchen Deut»
schcn, sagt K., eine Nation, und er wird sie
so präpariren, wie man es wünscht; er zcr«
stört und organisirt, er zerstört die Geschichte
und das Leben um die Experimente seines
albernen Gehirns zu „orgamsiren". Und wenn
es ihm gelungen, das zu zerstören, was
Oott zusammenfügte, wenn er den Samen
des Verderbens . der Kopflosigkeit und des
Ruins in die Herzen, Köpfe und Institutionen
zerstreut hat, wenn er mit N'.'cht sagen kann:
ai»reü inoi, lo äola^o, dann meine Herren,
nur dann läßt er, waö er gemacht hat, zu»
rück, geht nach Rom und wählt das Kreuz als
Symbol, als „nnick äpLä ine»."." ZMir führten
mit Absicht diese Stelle aus Kazinczy's
Rede an, um zu zeigen, wie persönlicher
Grimm sich so weit vergessen kann, ein ganzes
Volk zu schmähen. Das deutsche Oesterreich
hat nichts mit dem Bilde zu schaffen, welches
Herr K. von ihm entwirft, und sind die
deutschen Beamten darunter gemeint, je nun
so gehe man nach Ungarn, und sehe sich die
dortige Comitatswirthschaft nicht nur an.
sondern lebe sie durch und mit, um dem Red»
nrr jene Worte entgegen zu schleudern , die
sein geschmackloser Aberwitz verdient. Eines
einzigen Menschen willen, den K. haßt, ob
mit Recht oder Unrecht, mag dahingestellt
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Károlyi-Kiwisch, Band 11
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Károlyi-Kiwisch
- Band
- 11
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1864
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon