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bürdete, an den aber jetzt doch wohl Niemand
mehr glaubt! — Ebenso oberssächlich ist de
Vorwurf der mangelnden Melodie in
den symphonischen Dichtungen und anderen
Werken Liszt's. Es könnte damit nur jene
populäre Gestaltungsweise musikalischer Ge
danken gemeint sein, wie sie einfache Volks
wcisen. Tänze, Märsche u. s. w. zeigen. Diesl
Art von populärer Melodie kommt auch in
den Instrumental<Compositionen Haydn's,
Mozart'S, Beethoven's selten vor. In
Beethoven's 9. Symphonie kaum eine ein<
zige; dagegen gibt es darin doch keine absolut
unmelodische Periode, d. h. keinen Gedanken,
der nicht eine Seelenregung offenbarte. Auch
fehlt es den Liszt'schen Compositionen nicht
an einzelnen populären Melodien, alle seine
Gedanken aber. die nicht der Art sind, offen.
baren doch einen Seelenausdruck. Was drit«
tens Liszt's grauseHarmonie betrifft, so
sind in seinen sämmtlichen Werken keine
anderen Accorde zu finden als die Theorie
sie erlaubt, nur neue Verbindungen und
Folgen enthalten sie. Daß darunter manche
erscheinen, die dem Ohr der Gegenwart noch
herbe klingen, soll nicht geleugnet werden,
wenn aber jeder Componist nur die Harmo
nieverbindungen hätte gebrauchen dürfen, an
welche seine Zeitgenossen gewohnt warm. so
hörten wir heute noch keine anderen Accorde
als Dreiklange oder gar nur Quinten«, Quar«
t?n< und Octavengänge. Was folgt'daraus?
Dciß harmonische Kühnheiten im Anfange ge»
wöbn'ich mißfallen, später aber, nachdem
man sie öfter gehört, zulässig, angenehm und
als Bereicherung der harmonischen Ausdrucks«
mittet befunden werden. Liszt w i l l Ob«
jecie schildern, welche der musikali«
schen Schilderung garn icht zu gang«
lich sind? Dieser Albernheit zeiht man
Liszt, den wissenschaftlich und ästhetisch so
außerordentlich durchgebildeten Geist! Man
führt gewöhnlich Mazeppa, den auf cin
Pferd gebundenen Hetmann, an. Liszt habe
die äußere Erscheinung malen wollen, den
dabin stürmenden Galopp des Pferdes :c.
Nicht mehr als sie dem Dichter in der be>
kannten Redesigur der Congruenz und Har»
monie in engerer Bedeutung erlaubt ist. Wir
etinnern nur an die bekannten Verse, welche
das Pferdegetrappel und den rollenden Stein
malen. Beethoven malte in seiner Pasto«
ralsymphonie das Rieseln des Baches, den
Gesang der Nachtigall, den Schlag der
Wachtel, den Ruf des Kukuks, das Gewitter mit seinem Windsturm, den rollenden Donner
u. s. w., in seiner Victoriasymphonie alle
Erscheinungen, bis zu dem Kanonendonner
und Pelotonfeuer; C. M. von Weder in
der Wolfsschlucht, das Flattern der Vögel, das
Grunzen und Vorüberrauschen des Ebers;
Mozart in der Zauberflöte, C. M. von
Weber in der Euryanthe die Windungen
der verfolgenden Schlange. Haydn in seiner
Schöpfung sogar das Chaos, das eintretende
Licht, die Bewegungen einer Menge von
Thieren. Mendelssohn in seiner Ouvertüre
zum Sommernachtstraum das Spiel der
Elfen, in Meeresstille und glücklicher Fahrt
das ruhende Meer. Wem fällt es ein. diese
Meister wegen der Mitaufnahme des Aeuße«
ren in ihre Schilderungen der inneren Be«
wegungen, des Unsinns, der Nichtkenntniß
der ästhetischen Regeln ihrer Kunst, oder der
willkürlich barbarischen Ueberschreiiung der<
selben zu beschuldigen?" Diese unbefangenen
Ansichten über Liszt 's Tondichtungen schließt
der Kritiker mit folgenden Worten: „Noch
vor Kurzem schrieb Bank im Feuilleton
des Dresdener Journals über Beethoven's
Quartett, 0?. 130: Diese letzten schöpferischen
AusdruckZformen Beethoven'S beruhen fest
und sicher auf höchster Herrschaft über die
Technik und höchster Concentration des Ge»
dankens. Und darum erscheint uns, wo er
vor nicht zu langer Frist verworren,
f o r m l o s und krankhaf t genannt
n>urde. jetzt vol lkommen klar und
mehr und mehr bewundcrun gswür»
dig. wenn nur der Ausführung nicht
die technische Ueberwindung und
das poetische Verständniß fehlt." —
OesterreichischesMorgenblatt (Prag)
1838, Nr. 10—13: „Franz Liszt und seine
Instrumental'Compositionen", von A. W.
Ambros (gelegenheitlich des unter Liszt 's
persönlicher Leitung in Prag stattgehabten
Concertes zum Besten dürftiger Rigorosanten
der Medicin am 4!. März 1858). — Be<
leuchtung des durch Franz L i s z t's „Faust,
Symphonie" in Breslau hervorgerufenen Zei«
tunasstreites von Eugen von N lum (Bres«
lau 1864. W. Iacobsohn). - Vrendel
(Franz), Franz Liszt als Symphoniker <keip»
zig 1839. C. Merseburger. gr.. 8«.), — Oester»
reichisches Bürger .B la t t (Linz. 4°.)
3s. Jahrg. (1826). Nr. 33: „Aphorismen über
Musik und Musiker der Gegenwart. VI . Franz
Liszt". Von G. Frankenstein. — Gleich
(F.), Charakterbilder aus der neueren Ge»
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Leon-Lomeni, Band 15
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Leon-Lomeni
- Band
- 15
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 499
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon