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später auf der großen Universität, die er
nicht nennt, welche aber ohne Zweife!
Paris ist, unabhängig leben zu können.
Von nun an war er verschollen und selbst
ssine Eltern glaubten ihn längst verstorben.
Als in den Dreißiger-Jahren ein gelehrter
Ungar.NamensTessed ik, Paris besuchte,
erfuhr er bei Frau von Schlegel, geb.
Mendelssohn, daß ein gelehrter Lands«
mann von ihm in Paris lebe. der öfter
ihr Haus besuche. Tessedik suchte ihn
auf und erkannte in ihm unseren Man
dell i , der schon damals, wieGräffer
schreibt, „auf den gefährlichsten Gleb
schern theoretischer Speculation stand".
Aus Tessedik's Mittheilungen in dem
ungarischen Blatte: i'uHomg.n^os (3^üj-
tVinön^ d. i. wissenschaftliche Nachrichten,
und aus verschiedenen Nekrologen nach
Mandell i 's Tode, insbesondere aus
dem Nachrufe, den ihm Charles Nodier
gewidmet und der durch diese Todesan»
zeige dem Hingeschiedenen ein schönes
Monument gesetzt hat, bekommen wir
annäherungsweise ein Bild dieses merk«
würdigen Sonderlings. Mandel l i war
nach den bezeichneten Quellen einer der
größten Philologen unserer Zeit, der
vielleicht den bekannten Abbö Mezzo»
fanti in Rom übertraf. Er verstand die
meisten lebenden und ausgestorbenen ge»
lehrten Sprachen Europa's und Asiens,
namentlich französisch, deutsch, englisch,
italienisch, spanisch, die slavischen Spra-
chen, magyarisch, griechisch, lateinisch,
hebräisch, arabisch, persisch, hindostanisch
(auch Sanskrit), chinesisch u. s. w. und
rühmte sich selbst, er könnte von jedem
Puncte Europa's eine Reise nach China
unternehmen, ohne eines Dolmetsch zu
bedürfen. Seine Lieblingssprachen warm
jedoch die lateinische, griechische, hebräische,
arabische und persische, aus denen er sich
durch Vermischung eine eigene gelehrte Sprache gebildet hatte, aus welcher er
oft, wenn er französisch sprach, einzelne
Wörter einmischte und nur wenn er merkte,
daß man ihn nicht verstanden habe. er-
klärte er solche Phrasen ganz französisch
mit dem Zusätze „wie Ihr es zu nennen
pflegt". Aber M. war nicht nur ein
großer Philolog, sondern auch ein Mathe-
matiker, in der Taktik bewandert. Histo»
riker, Jurist, Theolog, kurz ein in unse-
rer Zeit seltener Polyhistor. I n der
Philosophie war Plato fein Orakel;
diesen wußte er beinahe auswendig und
citirte ihn oft in seinen gelehrten Ge«
sprachen. Im praktischen Leben nahm er
sich aber nicht den eleganten Plato, son»
dern den Cyniker Diogenes zum Muster.
Seine Garderobe bestand aus einem
alten Soldatenrocke, den er wahrscheinlich
bei einem Trödler gekauft hatte, und
einem Paar alten Ueberschuhen. Als ihm
einst ein gelehrter Freund gute Klei-
dungsstücke aufgedrungen hatte — denn
er war sehr schwer zu bewegen. Geschenke
anzunehmen — verkaufte er sie an einen
Trödler und kaufte sich Bücher dafür. Er
trug einen langen Bart, der schon halb
grau war und ihm Aehnlichkeit mit einem
griechischen Philosophen verschaffte. Er
nährte sich von Commißbrot, welches er
an Kasernenthoren kaufte und welchem er
manchmal einige rohe Kräuter oder Wur«
zeln beifügte. Gekochte Speisen aß er nie
in Paris. Er heizte sich nie ein. Sein
Hausgeräthe bestand aus einem Hölzer»
nen Armstuhle, aus einem Schemel,
einem rohen Tische von Zitmnermanns-
arbeit, einem kleinen Schranke, worin er
seine Bücher und Schriften aufbewahrte,
einem Brete mit einem Strohsacke, wor-
auf er schlief, einem Tintenfaß, das aus
einem zerbrochenen Glase bestand, einem
Scherben, der zu einer Lampe diente, zwei
Wafferkrügen und einer Schiefertafel, auf
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Londonia-Marlow, Band 16
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Londonia-Marlow
- Band
- 16
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1867
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon