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weisen Reformen auch im kirchlichen Ge«
biete eintreten ließ. Aber eben in diesem
Kampfe zwischen dem Kaiser und der
Kirche zeigte eS sich. wie in neuester
Zeit das Bild des großen Habsburgers
von der einen Seite entstellt, von der
andern Seite in fast lügenhafter Weise
ausgebeutet wurde. Als Kaiser Io«
seph I I . zur Alleinregierung kam, war
Cardwal Migazzi bereits ein hoher
Sechziger. Abgesehen davon, wie die
hier benutzte Quelle treffend bemerkt,
daß hinter dem Cardinal eine ganz an«
dere Zeit lag, als hinter dem um so viel
jüngeren Kaiser, mußte bei ihnen schon
der Unterschied deS Standes und der
Jahre ziemlich abweichende Anschauun«
gen hervorrufen. Beide, obschon stets
von aufrichtiger Hochachtung für einan»
der durchdrungen, waren doch ein jeder
ganz andere Wege zu gehen gesonnen
und gewohnt. Sie verstanden einander
nicht, und dieser Umstand brachte bei den
nahen Beziehungen, in welchen sie fort-
während sich befanden, unstreitig manche
Nachtheile mit sich: das weltliche und
daS geistliche Regiment geriethen dabei
gewissermaßen in ein ähnliches Verhält»
niß des gegenseitigen Mißverstehens, wie
eS bei den Repräsentanten selbst der Fall
war. Joseph ehrte die trefflichen Eigen»
schaften des Cardinal^, aber er war hau«
fig einer entgegengesetzten Ansicht, und
es fehlte an persönlichen Berührungs»
puncten, um einander gegenseitig Rech-
nung zu tragen und sich zu verstandigen.
Der Kaiser pstegte diese seine entgegen«
gesetzte Anficht niemals zu verhehlen,
aber er erwies gleichwohl bei jedem An»
lasse dem Cardinal die ehrendsten Rück»
sichten, überging ihn bei keiner Frage,
deren Entscheidung demselben gebührte,
und ließ ihm in Bezug auf die Verwal.
tung seiner Diöcese, besonders hinsichtlich der Aufrechterhaltung der geistlichen DiS«
ciplin, welche Joseph mit aller Energie
gehandhabt wissen wollte, beinahe völlig
freie Hand. Die nicht selten zügellose
Presse glaubte aus den MeinungSver«
schiedenheiten, die zwischen dem mannes-
kräftigen Monarchen und dem greisen
Oberhirten sich bisweilen äußerten, das
Recht zu schöpfen, den Cardinal zum
Gegenstande ihrer Diatriben machen zu
dürfen. Der Kaiser aber verhinderte
alle solchen Ausbrüche und ließ in der»
gleichen Fällen den Cardinal selbst Rich-
ter sein. Als eine ahnliche Schrift im
Censurwege zu seiner Kenntniß kam. re-
solvirte er: ,Diese Mce ist dem Cardinal
zu communiciren, mit dem Bedeuten,
daß er sich darüber äußern möchte, ob
er sich in selber getroffen finde oder nicht,
und also ob selbe admittiret oder verbo»
ten werden solle, weil ihm. als hiesigen
Erzbischof und Oberhirten alle Rücksicht
gebührt, daß nichts von seiner Person
gedruckt werde, wodurch er sich könnte
beleidigt halten" (6. October 4783).
vr. Meynert in seiner Schrift: „Kai«
ser Joseph I I . Ein Beitrag zur Würdi«
gung des Geistes seiner Regierung. Nach
archivalischen Quellen" (Wien 1862)
gibt eine ausführliche Darstellung des
Verhältnisses zwischen dem Kaiser und
dem Cardinal. Letzterem mochte msbeson»
dere seine Sinnesänderung in gewissen
Puncten, über welche er in früherer Zeit
viel strenger dachte und sich äußerte als
in späteren Jahren, in der öffentlichen
Meinung sehr abträglich geworden sein.
So ist bekannt, daß Migazzi als
Erzbischof anfänglich in die Privilegien
der Jesuiten die entschiedensten Eingriffe
machte, daß er den ausdrücklichen Aus-
spruck that, daß die ersten Gesetze ihrer
Gesellschaft gar nicht mehr befolgt, ja
daß in ihren Schulen Dinge gelehrt wur«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Metastasio-Molitor, Band 18
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Metastasio-Molitor
- Band
- 18
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1868
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 522
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon