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Neftroy 223 Meftroy
robert*). Und dieser Wiener Bo isrobert
ist — Nestroy, denn auch dieser Nestroy
ist eine Erscheinung, die, wenn sie einst vom
Schauplätze ihrer bisherigen Wirksamkeit zu
rücktritt, schwerlich jemals wiederkommt. . . ,
Nestroy ist vom Scheitel bis zur Schuh,
sohle eine Caricatur, jeder Zoll in ihm ist
eine Charge, jedes Wort, jede Miene, jede
Bewegung, jede Fiber, jede Faser, jeder Neru
ist eine ätzende und zersetzende Satyre, eine
beizl'.ide, reizende Ironie, eine cannibalische
Malice, eine blutrißende Persiflage, eine
Casti'sche Travestie, eine jungchegel'sche Ver<
neinung alles Bestehenden, eine noch nie da^
gewesene Verhöhnung alles dessen, was bis«
her in der Kunst dagewesen ist. Ich zersinne
mein Gehirn und finde keinen Caricaturen»
maler, mit welchcni ich Nestroy, diese zu
Fleisch gewordene Charge, passend vergleichen
soll. Er ist kein Hogarth, kein Gi l l ray ,
kein Cruikshcink, kein Goya; er ist kein
Gavarn i , kein Daumier, kein Cham,
Nestroy ist eben mehr als jeder dieser Ein»
zelnen.- in ihm vereint sich der Geist und dic
Schärfe, die, Lauge imd die Kaustik, der
Spott und der Hohn aller dieser Meister; er
ist das geborne Ou-e-st-äsnii der Caricatur,
eine Encyklopädie der Satyre. eine Quint«
essenz der Ironie, das Ns-oouyust der Paro«
dir, eine Incarnation des PH ilippon'schen
^^ournal poui> rirs". Nestroy ist aber nicht
bloß Darsteller: er ist auch Dichter, und fast
jedes seiner Stücke, das sich seit dreißig Iah<
ren auf allen Repertoiren erhalten, Hunderte
von Bühnen bereichert, und Millionen von
Zuhörern ergötzt und erheitert hat, ist eine
Abspiegelung seiner parooistischen Natur, eine
schäumende Perle, die er wie Champagner
aus seinem Innem herausschnellt; jedes seiner
Stücke ist, wie jedes seiner Bonmots, urko-
misch, schlagend, fesselnd, zündend wie er
selbst. — Seid ihr mürrisch und lebensmüde,
„xi-suss VoiLi-odei-t". Wollt ihr wieder hei«
ter werden und euch geistig vergnügen, seht
allabendlich diesen Tausendsasa Nestroy.
Wollt ihr Kranke euch gesund, wollt ihr als
Gesunde euch krank lachen, „pronss Iioi8-
roosrt". Lachen ist mehr, als bloßer Zwerch'
fellkitzel; Lachen ist Hochgenuß, Lachen ist
*) Boisrobert ist ein berühmter Schalk und komi«
scher Poet auS der Zeit Richelieu's. Als Riche»
l ieu zu kränkeln begann, rerschrieb ihm einer sei.
ZwüichfellS für den leidenden üardinal zuträglich
hielt. dnS lakonische Recept: «krene-LaiHlobert". Tugend; denn so lange man lacht, sündigt
man nicht. Ich selber war niemals tugend<
hafter, als an jenen Abenden, an welchen
Nestroy's unversiegbare Komik mich zum
Lachen hinriß. Ich vergaß allen Groll, alle
Bitterkeit; ich lachte über ihn und lachte
über mich, daß ich noch lachen kann gr^uä
insino..." — Ganz im Gegensatze zu Oet»
tinger's Apostrophe auf Nestroy'S Dar
steller» und Dichtergabe läßt sich erbarmungs«
los strenge Gustav Schlesiirs Urtheil über
Nestroy hören — wenigstens scheint die
Chiffre (3. 8. unter demselben im „Telegraph",
S. 74?, welcher im Jahre 1842 in Leipzig,
erschien, diesem seiner Zeit viel und mit
Necht gewürdigten Publizisten anzugehören.
Gust. Schlesier schrieb es, nachdem er eines
Abends im Theater zu Hamburg Nestroy'ö
„Mädel aus der Vorstadt" aufführen gesehen.
Er schreibt: „Ein gutes Stück, von einer
schlechten Gesellschaft aufgeführt, hat mich
immer an eine gute Mahlzeit erinnert, die-
man mit zinnemen Löffeln zu verspeisen ge<
nöthigt ist; bei schlechten Stücken und guten
Schauspielern ist aber der Gegensatz weit
greller und erzeugt den größten Widerwillen.
Ich kenne die Phasen nicht, welche das Ham«
burger.zweite Theater seit seiner Entstehung
durchlaufen hat, bin aber der Meinung, daß
seine gegenwärtige Richtung, wenn sie die
herrschende werden soll oder bereits ist, eine
höchst verderbliche genannt und zu den ent-
sittenden Elementen gezählt werden muß, die
die Bildung und das Gefühl des Volkes ver»
giften. Die Nestroy'sche Posse an und für
sich kann sich nicht rühmen, den Geschmack
überhaupt vereinfacht und verbessert zu haben,
so aber, wie sie hier auftritt, darf man sich
nicht scheuen, ihr geradezu einen dcmorcili.
sirenden Eindruck zuzuschreiben. Sie ist es,
die in Verbindung mit der Schwärmerei für
I f f l and der Moral den Gnadenstoß ertheilt
und jenen zerfahrenen blasirten Zustand er»
zeugt, den wir als das traurige Ergebniß
moderner Biloung nicht bloß in einzelnen
Individuen, sondern schon in ganzen Mas«
sen zu beobachten und zu beklagen haben.
Nestroy und I f f l and , das sind die beiden
Pole, in deren Kreise der abgestorbene kalte
Körper seine Zuckungen macht. Zwergfell
und Thränendrüse, das sind die Endpuncte,
auf die der Effect berechnet, über welche hin«
aus keine höhere Aufgabe, kein würdigeres
Ziel; jenes in Bewegung und diese in Fluß
zu setzen, dazu wird kein Mittel zu schlecht
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Band 20
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Nabielak-Odelga
- Band
- 20
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1869
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon