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selben sich emporzuraffen, machte er Aus-
fiüge nack Weinsberg. Stuttgart und
Tübingen, und außerdem beschäftigte er
ficb mit der Correctur seiner Gedichte,
deren Ausgabe bei Cotta in Stuttgart
zu Ostern bevorstand. I n dieser Zeit
entstand seine Absicht, nach Amerika aus«
zuwandern. Auch für die vermittelnde
Erklärung des Ursprungs dieser Idee.
welche Absichten ihn geleitet haben moch.
ten, einen solchen Gedanken zu fassen,
fehlen noch die näheren Belege. Besorgte
er, jener Gemüthskrankheit zu entgehen,
deren Schauer ihn schon damals dann
und wann unheimlich durchrieselten?
Hoffte er in jenem Lande der Arbeit und
forthastenden Thätigkeit, die aller Ge>
fühlsschwarmerei fremd, auf dem festen
Boden der Praxis ihres Erfolges mehr
oder weniger sicker ist, aller jener bangen
Empfindungen und quälenden Träume-
reien los zu werden, die in Europa
seinen Gedankenkreis verdüsterten und den
Aufsckwung seiner Dichterseele lahmten?
Hoffte er von der angestrengten Arbeit,
auf die dort ein jeder, der nicht Millionen
mitbringt, angewiesen ist, volle Genesung
jener krankhaften schwarzen Stimmung,
die ihn so oft beschlich? Wer kann das
sagen? Schurz geht über diesen Ent«
schluß, den Lenau gefaßt, mit zu großer
Leichtigkeit hinweg. Und Worte: „Aus
der neuen Welt wolle er mit einer
neuen Welt im Busen zurückkehren
und Niegesungenes singen. Seine Poesie
lebe und webe in der Natur und in
Amerika sei diese schöner und gewalti-
ger als in Europa. Dort wollte er sich
Ländereien kaufen, die schon, so hoffle
er mit aller Zuversicht, nach wenigen
Jahren eine bedeutende Rente abwerfen
würden. Reich in jeder Hinsicht könnte
er — schien ihm — nur in Amerika
werden", solche Worte erklären manches, ja vieles, aber nicht AlleS. Warum wollte
er denn auch reich werden? Eine Idee. die
zwar jeden, auch dm bedeutendsten Dick»
ter einmal im Leben erfüllt, für deren
Verwirklichung aber nur er den entschei-
denden Schritt gethan. Oder war schon
dieser Auswanderungsbeschluß das erste
Symptom eines krankhaften Seelenorga»
nismus? N. war trotz aller Gegenreden
und Vorstellungen darüber mit sich einig
geworden und Ende Juli 1832 bestieg er
zu Amsterdam einen hollandischen Ostin,
dienfahrer (Capitän Tollen), der dieß«
mal einen Abstecher nach Baltimore
machte. Nach einer Fahrt von zehn
Wochen kam er in Amerika an. Auf der
Ueberfahrt lernte er das Meer in seiner
Ruhe und in seiner Bewegung kennen.
Diese endlose Wafserwüste, deren Wogen
das Schiff nicht selten wie eine willenlose
Kleinigkeit hin und her schleuderten,
machte auf ihn einen mächtigen nach«
haltenden Eindruck. In der tiefen gren»
zenlosen Einsamkeit war es ihm unbe°
schreiblich zu Muthe und dann erwachte
die Sehnsucht nach den lieben Bergen,
den lieben Menschen in der Ferne. Zwei
Hauptmomente, die ihn gebildet, nannte
er das atlantische Meer und die öster«
reichischen Alpen, vorzugsweise aber er-
klärte er sich für einen Zögling der
letzteren. Das bewegte Meer empörte
seinen Stolz auf's Bitterste; wenn man
auf dem von den Wogen hin und her
geschleuderten Schiffe plötzlich willenlos
an die Wand geworfen wurde, da meinte
er in seinem ganzen Stolze, „je weniger
der äußere Mensch aufrecht stehen könnte,
um so mehr thäte es der innere". Er
befand sich nun in der neuen Welt, aber
diese behagte ihm bald noch weniger als
die alte, oder vielmehr sie behagte ihm
gar nickt, sie bot ihm nicht einmal einen
Maßstab zur Vörgleicbung, es war wirk-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Band 20
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Nabielak-Odelga
- Band
- 20
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1869
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon