Seite - 332 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Nabielak-Odelga, Band 20
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Niemksch 332 Niembsch
bedauerlich erschien bereits andererseits
sein Gesundheitszustand. Schon damals ^
war N. körperlich völlig gebrochen, er, z
der einst so rüstige Berg. und Alpen»!
steiger, vermochte sich nur mühsam auf^
die nächst Wien gelegene niedrige söge»!
nannte Sovhienalpe zu schleppen. Dabei ^
war seine Gemüthsstimmung ungemein
weckselnd. unsicher, weich, wehmüthig,
elegisch, dann wieder ohne einen äußeren
Anlaß reizbar und heftig. Nickt ohne
Besorgniß sahen ihn die Freunde nach
Frankfurt zu seiner Braut abreisen. Am
t3. September 1844 verließ er auf dem
Dampfschiffe die Kaiserstadt. I n der
Nähe von Linz rannte sich das Schiff
auf einer Sandbank fest. Bei der Flott»
macdung arbeitete er zwei Stunden mit
der größten Anstrengung, ein Umstand,
der bei seinem Leiden nicht wenig bedenk»
lich erscbeiut. Von Linz reiste er mit
Eilwagen über München nach Stuttgart,
wohin ihn der Absckluß eines Verlags»
geschäftes rief. Am 29. kam er in Stutt»
gart an, konnte aber, wie sehr er auch
drängte, erst am 29. September die
Angelegenheit in endgiltige Ordnung
bringen. Er wohnte bei Reinbeck, wo
er, wie immer bisher, gastfreundliche
Aufnahme gefunden. Seine Stimmung
war trübe, sorgenvoll. Da sprang er
eines Tages mit einem Aufschrei des
höchsten Zornes und Kummers auf, und
im gleichen Augenblicke fühlte cr einen
Riß durch sein Gesicht. Er ging an den
Spiegel, sah seinen linken Mundwinkel
in die Höhe gezerrt und die rechte Wange
war total starr und gelahmt bis an's
Ohr. Das Auge blieb zwar frei und
beweglich, doch hatte es ein stieres und
gläsernes Ansehen. Dieser Nervenschlag.
anfall. dafür hielt ihn wenigstens
Niembsch. erfüllte ihn nun mit schwe-
ren Besorgnissen für die Zukunft. Er erschien sich selbst, wie ein vom Tode
Bezeichneter; dieser hatte Hand an ihn
gelegt. Alle seine Hoffnungen auf haus«
liches Glück mit einer geliebtenFrau schie«
nen ihm in den Abgrund eines schrecken»
vollen Verhängnisses versunken, da ihn
der Nnfall gerade in dem Augenblicke
getroffen, als er mit den letzten Anstalten
zu seiner Verheirathung beschäftigt war.
Die Gesichtslähmung verlor sich wohl
schon nach mehreren Tagen, aber in der
Nacht vom 11. October 1844 trat der
erste stärkere Parorismus von Tobsucht
ein. Mit diesem Tage erlosch sein Geist
für immer — denn die vereinzelten lich»
ten Momente, die in der ersten Zeit noch
dann und wann eintraten — ermangel-
ten auch des vollen Bewußtseins seiner
Selbst. Vom.l l. October an machte die
Krankheit reißende Fortschritte. Es war
entschiedener Wahnsinn mit allen nack
der Individualität wechselnden Erscbei«
nungen. Wir können hier füglich darüber
hinweggehen, da es ein ausschließlich
pathologisches Interesse bietet und für
die Erkenntniß und Bedeutendheit dieses
edlen Dichterlebens weiter ohne Belang
ist. Im Folgenden geben wir sonach nur
die einzelnen Veränderungen, die mit
dem Kranken vorgenommen wurden.
Die nächstfolgenden Tage, die er in
einem erbarmungswürdigen Zustande der
Aufregung und Verzweiflung zubrachte,
bis zum 22. October blieb er noch bei
Reinbecks, wo
sich Gustav Pfitz er und
Freiherr von Porbeck, der damalige
badische Gesandte, in seiner Pflege theil«
ten. Noch am 56. Morgens spielte er, ein
Virtuose auf der Guitarre und Violine,
die letztere auf herrliche Weise, ging aber
plötzlich in einen
steierischen
Ländler über
und- stampfte den Boden tanzend dazu,
daß das Zimmer bebte. Wiederholte
Selbstmordversuche wurden glücklich ge-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Nabielak-Odelga, Band 20
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Nabielak-Odelga
- Band
- 20
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1869
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 514
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon