Seite - 176 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Pergen-Podhradszky, Band 22
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Melancholie der Mutter, die mit Aengft-
lichkeit und Mißtrauen jede Bewegung
der Kinder überwachte und aus über»
triebenem Pflichtgefühl der heranwach,
senden Tockter manche bittere Stunde
bereitete. Einige Monate nach dem
Tode des Vaters wurde der erste
Versuch gemacht, dem Mädchen die
Knabenkleider zu nehmen und das Bein-
kleid gegen den Frauenrock zu vertauschen.
Das Attentat erschien der zehnjährigen
I d a so unerhört, daß sie vor Schmerz
und Aerger darüber krank wurde. Auf
den Rath des Arztes gab man ihr die
Knabenkleider wieder zurück und ver»
suchte nun rnit Vorstellungen nach und
nach auf den Verstand der Widerspänsti«
gen einzuwirken. Die dem Mädchen wie»
der zugestellten Knabenkleider wurden
mit stürmischem Enthusiasmus in Gm»
pfang genommen, die Gesundheit kehrte
zurück und I d a benahm sich nun mehr
denn je wie ein Junge. Sie lernte Alles,
was ihr für Knaben passend schien, mit
Fleiß und Eifer, betrachtete dagegen jede
weibliche Arbeit mit der tiefsten Verach.
tung, und da sie beispielsweife Clavier»
spielen für eine mehr weibliche Arbeit
hielt, so schnitt sie sich häufig in die
Finger oder brannte letztere mit Siegel«
lack, um nur den verhaßten Uebungen
zu entgehen. Für Violinspiel zeigte sie
große Lust. Die Mutter gestattete jedoch
dieß nicht, und der Clavierlehrer wurde
förmlich octroyirt und mit Macht aufrecht
erhalten. Als das für Oesterreich so ver>
l)ängnißvolle Jahr 1809 kam, war I d a
zwölf Jahre alt. Sie nahm das größte
Interesse an den Kriegsbegebenheiten,
las mit Eifer die Zeitungen und ver»
folgte auf der Landkarte die Stellungen
der sich feindlich gegenüberstehenden Ar«
meen. Voll Patriotismus jubelte und
tanzte sie, siegten die Oefterreicher, wäh. rend sie bittere Thränen vergoß, wenn
das KriegSglück den Feinden günstig
war. Dabei bedauerte sie nichts mehr,
als daß sie noch zu jung war, um den be>
vorstehenden großen Strauß mitzukam,
pfen. Sie glaubte nämlich, ihre Jugend
sei für sie das einzige Hinderniß, mit in
den Krieg zu ziehen. Leider siegten die
Franzosen, der Feind rückte in die Haupt«
stadt ein und die Angelegenheiten Oester-
reichs standen grundschlecht. Ja, die kleine
Patriotin erlebte den Aerger. daß die ver-
haßten Sieger in Mafse im elterlichen
Hause einquartiert wurden, bei dieser
Gelegenheit die Hauptrolle spielten, am
Tische mitaßen und für alle derartigen
Gefälligkeiten die zuvorkommendste B?«
Handlung beanspruchten. Zeigten nun
auch alle Hausbewohner den Siegern
ein freundliches Aeußere, so konnten weder
Bitten, noch Befehle, noch Drohungen
das Mädchen bewegen. daß es den
Franzmännern ein gutes Geficht machte.
Sie gab im Gegentheile ihre Gesinnung
durch Schweigen und Trotz, und wenn
sie direct von den Feinden aufgefordert
wurde, sich zu äußern, durch Worte deS
UnmutheS und des glühendsten Hasses
zu erkennen. Sie sagt über diesen Punct:
„Mein Haß gegen Napoleon war so
groß, daß ich den Mordversuch deS be»
kannten StapS in Scbönbrunn als eine
der verdienstlichsten Thaten betrachtete,
und den Thater, als man ihn vor ein
Kriegsgericht stellte und erschoß, wie
einen Märtyrer verehrte. Ich glaube,
wenn ich Napoleon hätte ermorden
können, ich würde keinen Augenblick ge«
zaudert haben". Mit dem dreizehnten
Lebensjahre erhielt sie zum zweiten Male
Mädchenkleider, und dießmal für immer.
Sie war nun freilich schon verständig ge-
nug. die Nothwendigkeit dieser Umwand«
lung einzusehen-, aber nichtsdestoweniger
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Pergen-Podhradszky, Band 22
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Pergen-Podhradszky
- Band
- 22
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1870
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 534
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon