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Neichstadt 187 Neichstadt
dort zu sehen und Einst Sie, Beten Sie
für mich, sowie ich bei Gott für Sie
beten werde". Dann deulete er seiner
Mutter, sich zu ihm zu sitzen und aus
Alba ch's Gebetbuch die Betrachtungen
über „Tod und Unsterblichkeit" vorzu.
lesen, dock ihre von Schluchzen unter»
brochene Stimme versagte ihr diesen Lie»
beSdienst. Rittmeister von M o l l verlieb
nun nicht mehr des Prinzen Gemach
und hielt sich darin verborgen, da der
Prinz nicht duldete, daß Jemand bei
ihm wachte. Er schien zu entschlummern.
Gegen halb vier Uhr erhob er sich plötz»
lich und rief: „ich gehe unter". Frei»
Herr von M o l l und ein Kammerdiener
sprangen herbe! und faßten ihn in ihre
Arme. „Meine Mutter! meine Mutter!«
waren seine letzten Worte, dabei kam
Erstarrung in seine Züge und seine Augen
begannen sich zu verglasen. Freiherr
von Mo l l ließ ihn in den Armen deS
Kammerdieners, wahrend er selbst zu
Mar ie Luise eilte und znm Erzherzog
Franz Ka r l , den der Prinz ersuchte,
bei seinem Hinscheiden gegenwärtig zu
lein. Alleö eilte erschreckt herbei. Mar ie
Luisen fehlten die Kräfte, sich über ihrem
sterbenden Sohne aufrecht zu erhalten,
ihr brachen die Knie und sie sank an da«
Bett. Der Herzog, unfähig zu reden,
schien nur noch in den Augen einiges
Leben zu haben, er heftete den Blick auf
seine Mutter, dann nach oben, wendete
den Kopf zweimal — und verschied. Sein
Tod war am 22. Juli, um 8 Uhr 8 Mi-
nuten Morgens eingetreten, in demselben
Zimmer, nxlches 1809 N a p o l e o n'S
Schlafgemacd gewesen, in demselben
Bette, in welchem dieser Schlachtengott
einst geruht. Am 24. Juli Abends 6 Uhr
wurde der Leichnam deS Prinzen mit den
üblichen Feierlichkeiten in die kaiserliche
Gruft bei den Kapuzinern beigesetzt. Auf seinem Sarge wurde eine lateinische In»
schrift folgenden Inhalts geseht: „Dem
ewigen Gedächtnisse Josephs Karl Franz
Herzogs von Reichstadt, Sohnes Nnpo«
leon'S, deS Kaisers der Franzosen, und
der Erzherzogin Maria Louise vonOester»
reich, geboren zu Paris an» 20. März
181 l. in der Wiege mit dem Titel König
von Rom begrüßt, in der Blüthe des
Alters, begabt mit allen Vorzügen deS
Geistes und des Körpers, mit herrlicher
Gestalt, mit edler Jugend im Antlitz,
mit seltener Anmuth der Sprache, aus»
gezeichnet durch kriegerisches Wissen und
Streben, von der Lungensucht ergriffen,
erlag er schmerzlichem Tode im Kaiser»
schlöffe zu Ochönbrnun bei Wien am
22. Juli 1832". Der H e r z o g von
Reichstadt gehört, obgleich es ihm
nicht gegönnt war, thätig in's Leben
einzugreifen, mittelbar durch seine Stel»
lung der Geschichte an. Seine Person»
licbkeit besaß etwas ungemein Einneh.
mendes, waS durch seine Leutseligkeit,
Freundlichkeit und Feinheit nnd eine von
melancholischer Beimischung gefärbte Nn>
muth des Verkehrs, wie noch durch den
Glanz, der von seinem Vaier auf ihn
überstrahlte, erhöht ward. Mit seinem
Vater halte er den weiten überschauen»
den Blick gemein, der ihm vorkommende
Charaktere gleich erkennen und beurthei»
len ließ, aber durch ungünstige Vormei»
nungen und Mißtrauen, ein Ergebniß
seiner Lage, öfters getrübt wurde. Man
findet hie und da die Angabe, daß er
unwahr und fnlsch gewesen, das ist un»
richtig, aber eine außerordentliche Zurück»
Haltung, eine weit über seine jungen
Jahre hinausgehende Klugheit hinderten
ihn, sich frei und nach eigenstem Willen
gehen zu lassen. Der Prinz besaß Phan»
taste und fand in seinen späteren Tagen
besonders Geschmack an den Dichtungen
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Rasner-Rhederer, Band 25
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Rasner-Rhederer
- Band
- 25
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1868
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon