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Verfolgung entmenschten Kaste. Wir wüßten
nicht, warum eine solche Gestalt nicht dra«
malisch imposant sein sollte, so wie sieRott
gab?" Saphir schildert noch weiter die
Rott 'sche Auffassung desShylok swer diese
DidaSkalie lesen will, siehe „Humorist" 1840.
Nr. 129. S. 514 u. f.). Recht bezeichnend
ist, was Saphi r über Rott 's „König
„Lear" schreibt. Nachdem Saphi r eine eiw
gehende Charakteristik Lear's gegeben, bemerkt
er. zu R o tt'6 Darstellung dieser Rolle über»
gehend: „Mehr als je feierte Rot t in seiner
Leistung die Versöhnung zwischen Form und
Inhalt, die Eintracht zwischen dem Leibe der
Darstellung mit dem Geiste des Dichters.
Auch nicht einen Augenblick hob er die Har«
monie zwischen deni Körper seines materiellen
Vorwurfes und der Seele seiner ihn durch»
geistigten Phantasie auf. Es gibt im Lear
Augenblicke, wo der Darsteller verleitet wird.
die Natur von dem Idealen rücksichtslos
losreißen zu lassen und in jenen Ueberschwang
zu gerathen, der die Natürlichkeit übermannt,
die Wahrheit trunken macht und sie dann
zu seinen Gelüsten mißbraucht und dann
wieder andere, in welchen er den bewußten
Geist in Bande wirft, die dämonische Ge»
waltsamkeit und Zügellofigkeit des wilden
Natur» und Thierlebens im Menschen aus
seinen tiefsten Schlupfwinkeln auejagt, und
ihnen volle Herrschaft und tollartige Willkür
über das ganze Seelenleben einräumt. Bei»
des führt zur Unnatur, zur Verzerrung, und
in keinem solchen Momente kann die Urschöne
der dichterischen Idee ihre künstlerische Wie.
dergeburt feiern. Rott vereint Beides, indem
er aus feinem reichen und vollen Kunstschachte
das tiefste Seelenleben dieses Lear's heraus«
holte mit seinen Lichtern und Dunlelstellen,
mit seinen Klärungen und Verworrenheiten,
mit seinen durchleuchteten Falten, mit seinen
transparenten Schwächen, mit seinen riesigen
Formen, mit seinen Dissonanzen voll Har»
monie und mit seinem unendlichen Chaos voll
unendlicher Weltordnung. Und das Alles
ordnete, bildete und schuf Rott zu einem
kolossalen Nacht- und Lichtstücke voll geheim«
nißvoller und doch enthüllter göttlicher Macht,
voll Klarheit der Idee inmitten all' der Ver«
worrenheit des Gemüthes, voll nackter Him<
melswahrheit inmitten all' der verhüllten
Geisteslüge. voll erhabener und erschütternder
Wirkung inmitten all' der zerrissenen und
zerreißenden Schreckbilder und gnomhaften
Schauern aller Lebens« und Elementarschreck' nisse! Aus dem Gesagten mag der Leser ent<
nehmen, wie ganz, wie unzerstückt, wie rund
und gediegen die Leistung war, und deßhalb
citiren wir nicht diese und jene Scene, diesen
oder jenen Punct, denn „sagt AlleS nur in
Allem", es war ein Lear. jeder Zoll ein
Lear," — Besonders charakteristisch ist das
Urtheil von Feodor Wehl über Roit : „Der
Grundstein aller Schöpfungen Rott 's" .
schreibt Wehl. „ist Originalität. Originalität
ist die Eigenschaft bei Rott . die die Trom,
mel schlägt und alle übrigen Eigenschaften
auf den Sammelplatz ruft Das Ori»
ginelle ist der Humor Gottes, der Humor in
der Natur, wie in der Weltgeschichte, Ongi«
nalität schreibt sich von Gottes Gnaden.
Darum ist das Originelle selten. Originalität
aber ist unspeculativ, uncalculirend, unklug
aber sie ist stark, mächtig, angestammt und
flammengetragen. Originalität ist ein Don
Quirote, der durch die Ewigkeit trollet. Ori'
ginalität ist jovisstark und michldumm. aber
auch in der größten Dummheit wie ein Zeus.
Die platte, calculirende Mittelmäßigkeit setzt
sich die Brille des Verstandes auf die Nase
und guckt auf die Landkarte der Kunst. Sie
sucht die besten Straßen, die bequemsten
Nachtquartiere aus und sieht auf alle Weg.
weiser, daß sie ja ihr Ziel nicht verfehlt. Die
Originalität aber kann sich mit den rothen,
gelben und grünrn Strichen nicht zurechte
finden und springt in's Blaue hinaus. Auf
allen Wegen läuft sie dem Frühlinge nach
durch Dorn und Distel, und Nachts schläft
sie auf der Haide. Da schlagen die Nachti»
gallen. da gehen die Sterne, da rauschen die
Wasser darein. Originalität schüttelt die Locken
zurecht und agirt ihren Romeo. Aber auch
in Regen. Sturm und Wetter liegt sie dräu.
ßen, die Haare hängen triefend über die
Stirne, die Glieder zittern, das Gesicht zahn«
schlottert, aber sie reckt sich. schlägt ihre Lum.
pen über die Schultern und tragirt genialisch
den Lear: „Blast. Winde sprengt die Backen!
wüthet! blast! Ihr Wolkenbrüche und Orkane
speit . . . . Die liebe Mittelmäßigkeit liegt
derweil schläfrig im Bette und räckelt sich.
Rott ist eine Originalität, darin wurzeln
seine Vorzüge, seine Schönheiten, wie seine
Fehler. Nur von diesem Standpunkt,: aus -
kann Rott richtig und gründlich beurtheilt
werden. Mir wird übel. wenn ich Rot t
lobhudeln höre. Man schlägt dabei so plump
auf seine Schönheiten los, daß der Farben,
staub, der auf ihnen liegt, davon vernichtet
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Rosenberg-Rzikkowsky, Band 27
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Rosenberg-Rzikkowsky
- Band
- 27
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1874
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 386
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon