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ihr Bedauern aus. daß man um den
Genuß gekommen sei, die „berühmte
Sängerin" zuhören. Solchergestalt blieb
ihr Name im Gedächtnisse der Leute,
ohne daß sie sich anzustrengen oder etwas
zu wagen nöthig hatte". Endlich, um die
errungene Berühmtheit nicht weiter cmf's
Spiel zu setzen, heirathete sie im Jahre
4842 den berühmten Verfasser des „Le-
bensIesu". den vr. D avid Strauß.
Iustinus Kerner feierte diese Vermä»
lung durch ein finniges Hochzeitsgedicht,
dessen hoffnungsvolle Prophezeiungen
aber nicht in Erfüllung gingen. Nach
einer Ehe. deren Zusammenleben nur
wenige Jahre wahrte und aus welcher
zwei Kinder, eine Tochter Georgine
und ein Sohn Friedrich hervorgingen,
trennte sich das Paar und Agnese lebte
in Stuttgart, mit literariscken Arbeiten
beschäftigt, von denen zwei in der Oeffent«
lichkeit erschienen. Die eine ist ihre Selbst-
biographie. betitelt: „Ans dem Reben einer
Künstlerin", welche der vorstehenden Skizze
zum Theile als Grundlage diente. Das
Buch, ein Ergebniß ihrer fleißig geführ«
ten Tagebücher, reicht nur bis zu ihrer
Verheirathung, aber was es bietet, ist
Anfängerinen, welche sich der Kunst des
Gesanges widmen, nicht warm genug
zu empfehlen. Aus jeder Seite spricht
ihr treuer Fleiß, ihre reine Begeisterung
für daS Edle und Hohe, wodurch sie
selbst bei nur bedingter Begabung Höhe»
Puncte in der Kunst zu erreichen im
Stande war. Sie besaß kein Organ ersten
Ranges; ihr Mezzosopran war weder
sehr ergiebig, noch dankbar bedacht für
einen großen Rollencyklus; aber durch
unablässiges Studium gelang es ihr, zu
ersetzen, was ihr vom Haus aus versagt
war. Mit wahrer Kühnheit, wofür sie
mitunter freilich mit Leiden ihres Stimm-
organs büßen mußte, aber auch mit Glück verstand sie ihre eigentliche Stimmlage
zu überschreiten und die Sicherheit, mit
der sie die äußersten Anstrengungen —
wirklich nur Erfolge ausdauernder Stu«
dien — und den leisesten Flötenton wagte
und glücklich ausführte, war erstaunlich.
Ihre Hauptwirkung indessen bestand in
ihrer Darstellung, für welche sie sich kein
geringeres Vorbild als die berühmte
Schröder-Devrient gewählt hatte.
Ohne gerade die plastische Schönheit die-
ser großen Künstlerin zu erreichen, so
entwickelte sie doch in heroischen Partien
eine Energie und Leidenschaft, worin sie
die besten italienischen Sängerinen durch
die Plastik ihrer Bewegungen übertraf.
I n ihrer Selbstbiographie sind es aber be-
sonders zwei Capitel, deren Lecture Allen,
die sich der Kunst des dramatischen Gesan»
ges widmen, nicht warm genug empfoh»
len werden kann. Es sind jene, in denen
sie Bel l in i 's „Romeo" und Cheru-
bini's „Medea" behandelt, in welchen
zwei Gestalten sie ihre ganze Kunst zu«
sammenfaßte und mit tiefster Empfindung
meisterhafte, dramatisch vollendete Lei»
stungen schuf. Sie legt nun im Buche
ihre trefflichen Studien über beide Par«
tien vor. welche vortreffliche Ideen,
scharfsinnige Bemerkungen und beachtens«
werthe Winke enthalten. Ihr zweites
Werk betitelt sich: „Nebe und
Stntlien iiber mündlichen Vortrag unil
Nmürnck" (Leipzig l86l, Abel, 8".), daS
mit dreißig Illustrationen ausgestattete
Buch. dessen Veröffentlichung den 2lnre»
gungen des berühmten Franz Kugler
zu danken ist, gibt mit allerliebstem
Humor, ja neckischem Ernste und fast
spaßiger Gelehrsamkeit ganz vortreffliche
Lehren und Winke für Kunstjünger und
Kunstfreunde über die Vorstudien der
Kunst des mündlichen Vortrages und
mimischen Ausdrucks, „jener Kunst, deren
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Sax-Schimpf, Band 29
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Sax-Schimpf
- Band
- 29
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1875
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 374
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon