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Schlögl 429 Kchlög!
tischen und dramatischen Unterrichts»
Übungen, welche seine Tante, nachdem sie
von der Bühne sich zurückgezogen halte,
mit ihren zahlreichen Schülern und Schü«
lerinen tagüber abhielt, allerdings nur
alS stummer, aber darum nicht minder
aufmerksamer und eifriger Zuhörer bei»
zuwohnen. Nun ging'S mit aller Leb»
haftigkeit seines Temperaments an'S Lesen
und — bei beschränktesten Mitteln —
an's Bückersammeln. WaS ihm mit den
kleimn Mitteln — es waren oft nur
etliche Kreuzer, die ihm zu Gebote stan>
den — möglich war, an Lesefutter zu
erHaschen, wurde beigeschafft und dann
dieser Heißhunger nach Lectüre, so gut
eS gehen wollte, gestillt. Wenn er aus-
ging. stak ein Buch in der Tasche, wenn
er sich schlafen legte, befand es sich unter
seinem Kopfkissen. „Stilling'S Jugend",
das er bei einem Trödler um etliche
Kreuzer erstanden, wurde sein Lieblings«
buch, und wurde, wie von anderen Kna«
ben der „Robinson", so von ihm immer
wieder von Neuem gelesen. Daran reihten
sich Kl i ng er'S „Zwillinge". Schiller'S
„Fiesko", „Die Räuber". Kotzebue's
Menfchenhaß und Reue". Goethe'S
»Wilhelm Meister",Babo'S„Strelitzen".
ein Bruchstück aus Namler's „Mytho«
logie" und ein „Leipziger Meßkatalog".
Man staune nicht über diese eigcnthüm«
liche Zusammenstellung, sie war nickt das
Ergebniß überdachter Wahl, sondern daS
Eonglomerat des jocosen Zufalls, aber
von eindringlichsten Folgen. S. verlebte
dabei seine seligsten Stunden, insbeson»
dere, wenn er diese Bücher Abends bei
Nachbarleutm. die in einem geheizten
Stübchen ihr Oellampchen brannten,
lesen konnte. Denn bei seinen dürftigen
Eltern wurde mit Licht und Heizung sehr
gespart. Als des Lebens Ernst und die
Pfticht der Selbsterhaltung immer dran-
v. Wurzbach biogr. Lexikon. XXX. ^Gedr. gender an ihn herantraten und er. wie
oben erwähnt, einen — in deS Wortes
vollster Bedeutung — „Brotdienst" —
denn er gab ihm thatsächlich nur trocke-
neS Brot — suchen mußte, vergaß er
doch nicht auf Weiterbildung und erstrebte
mit allem Eifer, das Stückwerk seines
Wissens nach Möglichkeit zu ergänzen,
und wo ihm eine Gralisquelle zum Stu-
dium der Schätze der deutschen Literatur
sich eröffnete, diese geistige Labung und
Stärkung sich zu verschaffen. Als „Voll-
blut.Wiener" und aus dem Volke her-
vorgegangen, mit des Volkes genüg-
samer Lust und seinem vielen Leid auS
eigener Erfahrung bekannt und vernaut,
mit einem offenen Auge und der „Kunst
des SchauenS" begabt, widmete er sich
nun bei seinen Spaziergangen und Wan-
derungen in den Originalbezirken seiner
autochthonen „engeren" LandSleute mit
Vorliebe dor anfänglich absichtslosen Auf«
gäbe. daS „Leben und Treiben" der
„lQi8era x1sd8" nach ihren bunten Rich»
tungen zu beobachten. So drängte sich
ihm fast unwillkürlich ein reiches Mate«
riale von Erfahrungen und Wahrneh-
mungen aus den scheinbar kleinen, aber
nicht unlehrreichen Verhältnissen jener
meist noch unvermischten Schickten und
Classen der Wiener Bevölkerung auf.
das er spater als legalstes Spiegelbild
des „Volkslebens" mit Glück verwerthen
konnte. — Seine ersten literarischen Spo»
reu verdiente er fich bereits im Vormärz,
wo die Wiener Vlätter belletristische Bei-
träge, auch der zweifelhaftesten Qualität,
aufnahmen, wenn der überglückliche Autor
in der Freude, sich gedruckt zu sehen, an
den Abdruck seiner „Schöpfungen" keine
— Geldbedingllngen knüpfte. So kam eS,
daß er trotz jahrelanger schriftstellerischer
Thätigkeit bei verschiedenen „Versuchs-
stationen" daS erste Honorar doch erst
j9.Juni 4875) 9
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schindler-Schmuzer, Band 30
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Schindler-Schmuzer
- Band
- 30
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1875
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 398
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon