Seite - 174 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Schindler-Schmuzer, Band 30
Bild der Seite - 174 -
Text der Seite - 174 -
Schmerling 174 Schmerling
decretirte die förmliche Auflösung deS
Bundestages. Als wenige Tage dar«
nach, am 13. Juli. der Reichsverweser
sein Ministerium ernannte, wählte er
Schmerl ing zu seinem Minister des
Innern, worauf dieser, nachdem Hek«
scher als Reichsgesandter nach Turin
und Neapel entsendet worden war. vom
49. August an auch das Reicbsministe-
rium des Aeußern verwaltete. Beide
Ministerien führte S. bis zu seinem Rück-
tritte im December des IahreS 4848.
Factisch war er auch Präsident des
Reichsministeriums, da Fürst 3einin-
gen diese Würde nur kurze Zeit beklei»
dete. Vor dem Parlamente galt er
gleichfalls als Träger der Politik des
Reichsministeriums, die er vorzugsweise
zu vertheidigen hatte, um derentwillen
er beinahe allein den heftigsten Angriffen
ausgesetzt war. Ohne materielle Macht,
schreibt einer seiner Biographen, ausge-
schloffen von der Mitwirkung am Ver-
fassungswerke, ohne administrative und
legislative Thätigkeit, sollte das Ministe-
rium kräftig regieren, die Majorität des
Parlaments sich erhalten und die Einzel-
regierungen, auf deren Soldaten und
Geld das Reich angewiesen war, nicht
verletzen! Schmerl ing verstand eS we-
nigstens, die äußere Ehre dieses abstracten
Ministeriums zu wahren und die Schwä»
chen, welche die Folgen seiner eigenthüm»
lichcn Stellung waren, möglichst zu decken,
freilich manchmal auf Kosten der Partei-
stellung, der er wohl innerlich zugethan
war. So lange Schmerl ing Reichs-
minister war, blieb das Ministerium nur
einmal in der Minorität, in der Malmöer
Waffenstillstandsfrage. Am 26. August
war zu Malmö der Waffenstillstand ge>
schloffen worden und die preußische Re«
gierung war dabei mehrfach auf Bedin«
gungen eingegangen, zu deren Annahme sie durch die deutsche Reichsgewalt nicht
ermächtigt war. Dieser Vorgang machte
nun in ganz Deutschland den peinlich»
sten Eindruck, und auch die Lage deS
Reichsministeriums war nie. aber damals
eine am wenigsten erquickliche. Und
das Verhalten Schmerling's in dieser
so heiklichen Affaire? Es war daS des
deutschen ReichSministerö. Als parti«
cularistisch gesinnter Oesterreicher hätte es
ihm nahe gelegen, den Bruch mit Preußen
eintreten zu lassen. So aber faßte er die
Sachlage nicht auf. Als praktischer Mi«
nister des Innern kam er am 4. Septern«
ber im Ministerrathe Vormittags und
Nachmittags immer wieder darauf zurück,
daß Alles gefährdet sei, wenn man den
Waffenstillstand verwerfe. Man hielt da-
mals Schmerl ing als von Preußen,
wenigstens ohne sein Wissen, beeinflußt.
Aber er war ganz logisch vorgegangen,
denn im Ministerrathe wiederholte er
nur die eine Frage: womit man den
Krieg weiter führen wolle, wenn sich
Preußen, wie unzweifelhaft geschehen
würde, zurückzöge? Womit man denn die
lauernde Revolution, die jeden Tag im
inneren Deutschland ausbrechen könne,
bekämpfen wolle, wenn nicht nur die
preußischen Truppen abgingen, sondern
wenn man auch noch mühsam auS den
kleineren Staaten Truppen für Schles»
wig'Holstein zusammengerafft und fort«
geschickt hätte? . . . Nun beschloß die Na-
tional'Versammlung trotz alledem am
3. September auf den Bericht Dahl«
mann's die Ausführung deS Waffen»
stillstandeS zu sistiren, worauf das Reichs-
Ministerium in Folge dieses Beschlusses
seine Entlassung einreichte. Als nun die
Bildung eines neuen CabinetsaufSchwie-
rigkeiten stieß, so behielt doch Schmer«
ling die Geschäfte in Händen, und vor«
nehmlich das Werk seiner Energie war
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Schindler-Schmuzer, Band 30
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Schindler-Schmuzer
- Band
- 30
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1875
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 398
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon