Seite - 102 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Stehlik-Stietka, Band 38
Bild der Seite - 102 -
Text der Seite - 102 -
SteiniH
war wie in London, daS im Nothfalle
seinenMann ernähren konnte, so gewahrt«
eS doch Steinitz ein nicht ganz unerheb-
licheS Einkommen; was aber noch mehr
war, Steinitz verstand eS. durch sein
meisterhaftes Spiel die Aufmerksamkeit
der wenigen Schachspieler, deren Wien
sich in jenen Tagen erfreute, zu erregen. Er
spielte damals im oberen Stockwerk deS
Kafö de l'Europe auf dem Stephans'
platze und sein scharf durchdachtes, dabei
flottes Spiel. zog zahlreiche Verehrer
des Schach in das Cafs hinauf. Lange
war eigentlich nur, um einen Schachsieg
zu erringen, gespielt worden; allmalig
fanden sich aber Schachliebhaber ein,
die mit Steinitz an gewissen Tagen
um Geld spielten. Unter diesen befand
sich auch ein höhergestellter Militär, der
Stein itz die Partie um 3 st. anbot,
und welche an seinen Partner zu ver>
lieren. S. so oft wie möglich — man
sagt immer — vermied. So wuchs
denn mit jedem Tage der Kreis der Be-
wunderer und Zuseher der mit Steinitz
gespielten Partien. Mit der Zeit fand
der geniale Schachspieler auch den Weg
in höhere Kreise und gerieth aus den
Raumendes jemänniglich offenen Cafä in
die eiclusiven der diplomatischen Welt,
in welchen der Schachgenius des jun-
gen PragerS bald so mächtig wirkte,
daß man über denselben die äußere
Erscheinung desselben vergaß, welche
jener des Narciß-Rameau in der Brach«
Hogel'schen Komödie nahe, wenn nicht
fast gleichkam. Man erzahlt sich aus
dieser Zeit, in welcher S. mit den Di-
plomaten Schach spielte, ganz kurzwei»
lige Geschichten, deren Ausgangpunct
der war, den trefflichen Schachspieler
in einer diesen bevorzugten Kreisen ent.
sprechenderen Weise zu costumiren. wo-
bei man mit dem Hut begann, dessen Kteinih
bloßstellende Glatzen nichts weniger denn
F6ntl6lua!i1ik6 aussahen. AlS Stei«
nitz eines Abends den Salon des schach«
liebenden Diplomaten, durch diesen im
fesselnden Gespräche aufgehalten, der
letzte verließ, fand sich nur mehr ein
Hut vor, aber so fein und glanzend,
wie Steinitz noch nie einen auf dem
Kopf gehabt. Aber das war nicht sein
Hut. Alles Suchen nach jenem des
Schachspielers war vergebens, so daß
der Diplomat endlich S. bat, den
eben vorhandenen Hut zu nehmen und
ihn so lange als den seinigen zu betrach.
ten, bis ihm sein eigener, den wohl
einer der anwesenden Gäste aus Ver«
sehen mitgenommen, zurückgestellt werde;
S. blieb nichts übrig, als dieses AuS»
kunftsmittel anzunehmen, blieb aber seit»
dem unangefochten im Besitze deS neuen
schönen Hutes, da sich der Herr, der den
seinigen entführt hatte, nie meldete. AuS
den Schachkreisen deS Caf6 und der
diplomatischen Welt drang Steinitz
immer weiter vor und gelangte endlich
in jene des Wiener Schachclubs, dessen
Wege aber damals, trotz der ausgezeich-
neten Spieler, welche er hatte, noch dun«
kel blieben. In den Turnieren dieses
Schachclubs nahm S. bald eine hervor-
ragende, wenn nicht erste Stelle ein,
denn im Schachturnier 1839 gewann er
den dritten, 1860 den zweiten und 1861
bereits den ersten Preis. Zur Zeit der
zweiten Londoner Weltausstellung hatte
auch der Londoner Schachclub ein großes
Schachturnier ausgeschrieben und den
Wiener Schachclub eingeladen, sich durch
eines seiner Mitglieder an dem Kampfe
zu betheiligen. Nun es war da keine
Frage, wen der Wiener Schachclub sen-
den sollte. Es gab nur Einen, der ihn
würdig vertreten konnte, und dieser hieß
Steinitz. Aber die mangelhafte Re«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stehlik-Stietka, Band 38
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Stehlik-Stietka
- Band
- 38
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 398
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon