Seite - 21 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Stifft-Streel, Band 39
Bild der Seite - 21 -
Text der Seite - 21 -
Stifter Stifter
sollte es erst inne werden, daß er nur ein
Nagel mehr war in diesem Baue, und
daß nicht der Nagel selbst zuschlägt, son
dem daß auf ihn zugeschlagen wird.
St i f te r faßte seine Stelle mit Ernst
und Gifer an, er bereiste die Provinz,
um sich durch den Augenschein über die
Schul» und Unterrichtsverhältniffe der>
selben zu unterrichten. Und er fand, daß
ihm ein weites Feld zur Thätigkeit über
wiesen war. Er wirkte auch. so weit eS
ihm im Bereiche feiner Amtsbefugnifse
überhaupt möglich war, mit Energie
und Erfolg, insbesondere sah er auf ein
menschenwürdiges Aussehen der an vie
len Orten verfallenen und geradezu
gesundheitsschädlichen Schulhäuser. Von
den Gedanken beseelt, „daß die Erzie>
hung die erste und heiligste Wicht des
StaateS" sei, griff er, wo es galt, ener
gisch an, sollte sich aber bald über»
zeugen, daß seine eigene Ansicht nicht
auch die Anficht der ihm übergeord«
neten Gewalten war. Seine Berichte,
seine Vorstellungen waren von dem
heiligen Feuer der Ueberzeugung in
einer so wichtigen Staatsangelegenheit,
als es Unterricht und Erziehung sind,
beseelt. Aber Diejenigen, so darüber zu
entscheiden hatten, ließen sich von diesem
Feuer nicht erwärmen, sie nahmen die
Sachen nach der alten Schablone vor,
und St i f te r sah bald. daß er nicht
verstanden, oder wenn verstanden. mit
Absiebt nicht beachtet wurde. Beschränkt»
heit, Starrsinn und Leidenschaftlichkeit
vereitelten seine besten Absichten; der
Schulrath war nickt ein Rath. der in
Schulsachen helfend, unterstützend, for«
dernd eingriff, er war nur ein Beamter
mehr, ein Mensck ohne Selbständigkeit,
sonst nichts weiter, und hatte eben
nur zu thun. waS ihm ein unmittelbar
Höherer befahl. So kämpfte S t i f t er einen jahrelangen Kampf gegen Gleich«
giltigkeit, Stumpfheit, boshafte Nicht«
beachtung in einer Sache, die ihm so
sehr am Herzen lag. die er. und mit
Recht, für eine der heiligsten Pflichten der
Menschheit, für eine der höchsten des
Staates hielt. Schon im Jahre 4859
mußte er schreiben: „Zwangsarbeit
nenne ich, wenn ich klar Wahres ver»
leugnen. dem Gegentheil mich schwel'
gend fügen und eS fördern muß". Für
all diesen Jammer, den er nun einmal
nicht ändern konnte. hatte er doch eine
Panacae: die Poesie, die ihm über
alles Weh hinweghalf, das der mensch,
liche Schwindel der menschlichen Ehr«
lichkeit in aüe Glieder zu treiben ver-
steht. Auch sein Dichterkranz, der von
Jahr zu Jahr neue Blatter ansetzte,
gab ihm einigen Ersah für sein ver»
fehltes Wirken auf anderem Gebiete, und
mit dem Steigen seiner Anerkennung
wuchs seine Bescheidenheit, sein Ringen
nack Vollendung und seine Liebe zum
Schaffen. Da aber sollten mit einem
Male trübe Tage kommen; das Leid
lud sich zu Gaste in des Dichters Haus
und schien bleibenden Besitz von dem»
selben nehmen zu wollen. Auf einer
Reise, welche S t i f t e r im Sommer
1837 nach dem Süden d«S Kaiserstaates
machte, besuchte er Klagenfurt, wo
ihm vor Kurzem eine Muhme geftor»
ben. eine andere, Namens Joseph ine,
aber noch lebte. Und das Stifter'fche
Ehepaar beschloß, die Ueberlebende auS
ihrer Vereinsamung zu befreien und mit»
zunehmen. Dieser Gedanke wurde auch
ausgeführt. Als sie nun von ihrem AüS«
fiuge, auf welchem sie Trieft und einen
Theil des venetianischen Gebietes be»
sucht hatten, heimgekehrt, fand sich die
Familie St i f te r um ein Glied, vor«
benannte Joseph ine, vermehrt. Frü«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Band 39
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Stifft-Streel
- Band
- 39
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 400
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon