Seite - 22 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Stifft-Streel, Band 39
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her schon hatten sie. da sie kinderlos
waren, eine Nichte Namens Ju l ia na
zu sich ins Haus genommen, an ihr
Elternstelle vertretend. Da traf im Ianre
4838 Schlag auf Schlag dieses traulicke
Familienleben. Im Februar 4858 starb
Sti f ter 's Mutter. Als er die Nach
richt von ihrem Ableben erhielt, ruhte
sie schon in der Erde. Wer es weiß.
wie S t i f t e r's Her; mit tausend Fä<
den an seiner Mutter hing, wie er
Alles, was er dachte, sann. dichtete,
nur auf sie und immer wieder auf
sie bezog, der wird es ermefsen, wie
tief ihm dieser Verlust zu Herzen ging.
Wenige Monate nach dem Ableben der
Mutter erkrankte die Base Joseph ine.
Das Uebel nahm einen immer bedenk»
licheren Charakter an und ging in
ein Siechthum über. von dem sie nach
etlichen Monaten auch der Allesbefreier
Tod erlöste. Kaum war Joseph ine
in die kalte Erde gebettet, traf den
Dichter der härteste Schlag. Es wurde
oben erwähnt, daß S t i f t e r s , um
ihre Kinderlosigkeit weniger herbe zu
empfinden, eine Nichte Namens I u«
l i a n a ins Haus genommen. I u>
l i a n a, in einem Fort an der türki«
schen Grenze geboren, hatte ihre ersten
Kinderjahre, wie leichtbegreiflich, in
jener Gegend der Uncultur in unge«
bundener Freiheit zugebracht. So wuchs
das Kind wild, unabhängig, unbändig
heran. Im Alter von acht Jahren kam
die kleine Wildein S.'s Haus, in diese
Stätte des anheimelndsten Friedens. der
strengsten Ordnung und Pünktlichkeit,
worauf S.'s Frau in treuer Sorge um
ihren Gatten mit unnachsichtlicher Ge«
nauigkeit hielt. Dies war nun freilich
nicht nachIul ianens Sinn. und sie
war schon, unfähig, sich in diesen Bann
zu fügen, wiederholt weggelaufen, aber immer wieder ihren Pflegeeltern zurück-
gebracht worden. St i f ters hatten sich
mit dem Kinde unter solchen Umständen
keine geringe Plage auf den Hals ge«
laden, aber sie ertrugen AlleS in der
Hoffnung auf die Zukunft. wenn das
Mädchen zur Jungfrau herangereift sein
würde. Doch darin täuschten
sie
sich. es
wurde mit Ju l i anen nur schlimmer.
Alle Mahnungen. Vorstellungen blie-
ben fruchtlos. So hatte das Mädchen
daS 48. Jahr erreicht. Da war es eines
Tages aufs neue verschwunden. Aber
diesmal kam es nicht wieder, wurde
auch nicht zurückgebracht und alle Nach-
forschungen nach ihm blieben erfolglos.
Endlich, nach vier Wochen schwerer Angst
für daS S t i f t e r'sche Ehepaar, fand
man Iu l ianens unverletzten Leichnam
am Donauufer bei Mauthausen. Er
war von dem Waffer, worin sie ihrem
Leben ein Ende gemacht, anS Ufer ge-
spült worden. Man muß S. gekannt
haben, um zu ermessen, wie ihm der
Frevel dieser Amazone an sich und an
seinem Hause nahe ging. Er war über
solch' ungeahnten Ausgang zu tief er«
schultert. Je weniger er aber über
diese unheilvolle Geschichte sprach, um
so tiefer fraß sie sich in sein Inneres
hinein. Immer mehr und mehr zog er
sich in seine Häuslichkeit zurück, zu wel«
cher nur seine erprobten Freunde noch
freien Zutritt erhielten. Daselbst lebte er
seinem amtlichen Berufe, welcher ihm
freilich wenig Freude einbrachte, seiner
Zectüre, in der Goe the obenan stand,
der Pflege seiner Cactuse. welche mon»
ftröse Pflanzenart er sich sonderbarer
Weise zur Lieblingspflanze ausgewählt
hatte, und seinem dichterischen Schaffen,
das sich damals vorerst in Studien zu
seinem „Witiko" concentrirte. in wel-
chem er ein Stück der Geschichte seines
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Band 39
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Stifft-Streel
- Band
- 39
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 400
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon