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Stifter 32 Stifter
VI . Aussprache der Kritik über Adalblrt
Stifter. Es ist dem Herausgeber kaum ein
zweiter Fall der Aufregung in literarischen
Kreisen bekannt, wie es jener war, da Adal«
bert St i f ter 's „Studien" alS Buch in
die Welt traten. Wohl hatte der Autor bereite
früher in verschiedenen Journalen und Alma«
nachen ^vergleiche L. 27 u. f., I I . Uebersicht
der Schriften Adaloert Stifter's nach der Zeit
und dem Orte ihreS Erscheinens) mehrere
seiner Arbeiten, wie „Der Condor". „Das
Haidedorf", „Der Hochwald". „Die Narren«
durg", ,Abdias" u. a., einzeln erscheinen
lassen, so daß er dem 3esepub!icum, von
dem ein großer Theil ihn mit Andacht las,
kein Neuling war. Da aber Almanache und
schöngeistige Journale selten von Kritikern
vom Fache gelesen werden, so hatte sich
die eigentliche Kritik noch nicht mit ihm
befaßt; auch war es ein Anderes, die bis.
her einzeln erschienenen Blüthen eines schö>
pferischen Genies zu einem Strauße gebuu«
den beisammen zu haben. Jetzt kam die
Krin'k. uno fast berauschend war der Weih»
rauck, der dem Dichter entgegenqualmte und
der ihn nicht stolz, nicht übermüthig, ja
fast möchten wir sagen, noch bescheidener
machte, denn er gestand ein, daß er Alles
lange nickt so niedergeschrieben, wie er eS im
Herzen gefühlt, daß es aber für derlei heilige
Gefühle doch mit irdischen Worten nicht
gethan ist. Anastasius Grün und Lenau
fanden mic ihren Gedichten eine begeisterte
Aufnahme, aber eS erhoben sich doch gegen
den etdmckenoen, sich selbst quälenden Welt«
schmerz deS Letzteren, wie gegen die politische
Tendenz des Ersteren auS der Kritik gegne,
rische Stimmen; nicht so bei S t i f te r , dem
von allen Seiten ein Evo« entgegentönte,
dessen Nachhall wir sogar an den Ufern von
Svree.Athen erlauschten, freilich zu Beainn
der Fünfziger.Iahre. wo es mit dcr literan»
schen Production dort schlecht genug bestellt
war. Vor uns liegt eine ganze Mappe voll
Urtheile deutscher Kritiker aller Kategorien,
und wir greifen nur einige heraus, welche
zusammen ein Gesammtbild der geistigen
Reize in St i f ter 's Werken geben; jeder
den Dichter von einer anderen Seite beur«
theilend, aber alle in der Einstimmigkeit über
seine dichterische Besonderheit und seinen
Genius zusammentreffend. Nir fügen dem
selben, da zu viel Licht die Gegenstände, die
es beleuchtet, doch nicht ganz genau erkennen
läßt, auch ein und das andere Woit bei. das wie ein Schatten auf diese Beleuchtung fällt.
Aber selbst dieser Schatten stört nicht, sondern
steigert nur den Gesamnneindruct des Bildee.
— Rudolph Gottschall über St i f tec:
„Jene Seite der Naturmalerei, die eigentlich
aus dem Gebiete des Humors herausfällt,
fand in Ad albert St i f ter einen glän»
zenoen Vertreter. Aei Adaldert S t i f te r
vermissen wir freilich jene höhere, begeisterte
Naturandacht, deren Hymncn den Men«
schengeist mit dem AU auf's i-nnigste uer«
malen. Die Menschen sind ihm nur die Staf-
fage der Landschaft; die Erzählung selbst
beruht in seinen .Studien" j6 Bände. !844
bis t85tt) und in dem großen Nomane „Nach-
sommer" ^ Bände, 185?) in der Regel auf
dürftigen Motiven und wiro von keinem
geistig bedeutenden Standpunkte getragen.
Grundsähe der einfachen Moral oder eine
fatalistische Ergebung ln das Unvermeidliche
bilden die geistigen und sittlichen Anker der
Stifter'säien Dichtungen. Die Menschen
bewegen sich mit einer steifen, gemallen
„Grandezza", und ein CycluS von Wand»
uno Deckengemälden gibt sich uns für eine
»Noorlle" aus. Selbst wo St i f te r , wie
im „Nachsommer", einen glößeren Anlauf
nimmt u»o uns eine innere Hildungsge.
schichte darstellen will, da verläuft dieselbe
ohne alle bedeutenden Einschnitte; ein Mosaik
von „Vunten Steinen", pädagogischen und
ästhetischen Betrachtungen, Kunst« und Natur»
bildern muß uns für den Mangel an span»
nender Handlung entschädigen, und die gci»
stige Ausbeute, die Verherrlichung schlichter
Häuslichkeit, ist kaum des großen Aufwandes
werth. Stif ter 'S Helden sind die Steppe,
die Wüste, die Haide. der Hochwald; aber
in seiner Art uno Weise, die Naiur zu be.
seelen, sich mit kindlicher Verwunderung in
ibr großes und kleines lieben zu versenken,
uns in eine Stimmung zu versetzen, in wel»
cher wir jede ihrer vergänglichsten Crschei»
nungen. jeden Vogel, jedes Insect, Alles, was
uns sonst alltäglich erscheint, wie ein fremd«
artiges, bedeutsames Wunder anstaunen, in
dieser Schilderung des ganzen stillen Haus
Haltes der Natur mit sicheren Contouren und
glühendem Colorit ist S t i f te r unübertress«
lich; gerade das Stillleben der Empfindung,
das von keinen anderen Interessen gestört
wird. zaubert uns di< Landschaft m seltenem
Glänze vor die Seele. Bild reiht sich an
Bild, unter dem Sonnenmikrostope seiner
Phantasie gewinnt das Kleinste Gestalt und
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Band 39
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Stifft-Streel
- Band
- 39
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 400
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon