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Szerencsy, Stephan 143 Kerencsy, Stephan
deten Auslandes genau bekannt, in der
vaterländischen Gesetzgebung und Ge«
richtspraris gleich gut bewandert - er
kannte aus eigener privater und dienst«
licher Erfahrung den Zustand deS Lan«
des, den Charakter seiner Nation, den
natürlichen Zusammenhang der dama-
ligen (1844) Uebergangsperiode mit
der Vergangenheit und verstand diese
seine Kenntnisse in den schwebenden
Fragen verfassungsmäßig den Förde«
rungen der Zeit Rechnung tragend und
den Wünschen der fortschreitenden Nation
möglichst entsprechend, zur Geltung zu
bringen. I n seinem ganzen Wesen, mit
dem heiteren freien Blicke, mit dem
ruhigen Selbstgefühl des Mannes, der
stets nur das Rechte will, gab er in
seiner ganzen Erscheinung das unver«
fälschte Bild ungarischer Offenheit. Auf-
richtigkeit und Herzlichkeit, und eben
durch dieses Wesen hatte er die Sym-
pathie. das Vertrauen und die Achtung
der Stände erworben. Aus den ersten
Moment, nach seiner physischen Indivi»
dualität zuschließen, hätte man erwartet,
dieser Mann werde mit den tödtlichsten
parlamentarischen Waffen dreinhauen.
und man werde überall, wo der Biß
seiner Zähne getroffen, die Spuren
davon gewahren. Nichts von alledeml
Er war sanft wie ein Lamm, sein Geist
feiner als seine Geberde, seine Dialektik
ästhetischer als seine Toilette. Mit einer
anziehenden Natürlichkeit verband er enie
Leichtigkeit,, sich in die schwierigsten Si>
Wationen zu finden, ein warmherziger
Patriot, verstand er es, bald mlt süßer
Vertraulichkeit, bald mit ernster Würde
seine Präsidentenpfticht zu erfüllen. Und
so kam es denn. daß, wenn er auch unter
mißbilligenden Bemerkungen schneller
zum Ziele führende AniräZe empfahl,
diese dann in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen angenommen wurden.
Fand aber sein Vorschlag keinen An«
klang, dann beharrte er nicht auf dem«
selben und griff nie zu Mitteln, welche
seinen Charakter oder die parlamenta«
rische Würde in Schatten stellen konnten,
dann ließ er dem Drama der Verhand»
lung — unten folgt eine der merkwür«
digsten aus seiner Zeit — eine freie Ent-
Wickelung und sprach die Meinung der
Majorität, sie klar und ruhig zusammen«
fassend, unparteiisch mit voller Ruhe
aus. Dazu besaß er im hohen Grade
das Geschick, aus dem verworrenen
Knäuel abspringender oder widerspre«
chender Meinungen den Ariadnefaden
herauszufinden, die aufgeregten Par>
teien zu beschwichtigen und, ward er
auch noch so heftig angegriffen, nie die
Fassung, das Gleichgewicht zu verlieren
und so durch seine Selbstbeherrschung,
seine Ruhe und echte edelmännische Hal>
tung selbst die gereiztesten Gemüther für
sich zu gewinnen. Dabei unterließ er es
aber nie, jene Redner, welche sich aus
Absicht oder im Selbstvergessen ihres
oraiorischen Ergusses nicht genau an den
Gegenstand hielten, sondern m ihre
weit ausgesponnenen Vorträge Dinge
mischten, die gar nicht hineingehörren,
entschieden zurückzuweisen und strenge
zu mahnen, bei der Sache zu bleiben.
Auch verstand er es, das Publicum,
namentlich die Landtagsjugend, welche
in oft ungebührlicher Weise Kunde von
ihrem Dasein gab und durch jedes Maß
überschreitende Aeußerungen des Beifalls
oder Mißtrauens störend in den Gang
der Verhandlungen einzugreifen gewohnt
war, durch einen Blick, eine Geste, im
schlimmsten Faü> durch eine kurze, aber
klare Ansprache, auS welcher jedoch gar
vernehmlich der Ton wahrhaft väter«
licher Herzlichkeit herausklang in Ord«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Szedler-Taasse, Band 42
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Szedler-Taasse
- Band
- 42
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1880
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 356
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon