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Taglioni) Marie Taglioni^ Marie
hatte, das Tagesgespräch bildete. Davon
in Kenntniß gesetzt. daß die Balle«
rine für jeden Abend, an dem sie tanze,
einhundertfünfzig Guineen empfange,
schrieb der Hindu an seine Landsleute
in seinem Reiseberichte: „Bedenkt
nur. 130 Guineen gibt man hier-
zulande einem Mädchen dafür, daß es
eine Zeit lang wie eine GanS auf einem
Beine steht, dann das andere gerade
ausstreckt, so drei» oder viermal sich her-
umdreht, sich so tief verbeugt, daß sie
sich fast setzt und bald auf diese, bald auf
jene Seite der Bühne springt. Alles dies
dauert keine Stunde. Und für diese
Stunde bekommt sie so viel, als sechs
Weber in Spiralfields (wo schöne Sei«
denzeuge gewebt werden) in einem Jahre
verdienen können, wenn sie jeden Tag
vierzehn Stunden arbeiten. ES erscheint
uns sehr thöricht, einer Tänzerin für eine
Stunde Herumhüpfen mehr zu geben,
als das. waS sechs Seidenweber mit
ihren Frauen und Kindern ein ganzes
Jahr lang unterhalten könnte". Das
sind harte, aber wahre Worte, doch was
der Poet sang, was der Hindu seinen
Landsleuten schrieb, war in den Wind
gedichtet und geschrieben. Mar ie T a»
g l ion i , welche trotz ihrer Heirat ihren
Tänzernamen beibehalten hatte, zog sich
im Jahre 1844 von der Bühne gänzlich
zurück; in der französischen Oper trat sie
am 29. Juni d. I . im sogenannten „pas
äe I'omdrk" zum letzten Male auf und
lebte seitdem in Oberitalien, abwechselnd
in Venedig und in Mailand. I n ersterer
Stadt kaufte sie mehrere der schönsten,
aber verwahrlosten' Paläste, welche her»
abgekommenen Adelsfamilien gehörten,
wohlfeil an, lich dieselben restauriren
und comfortabel einrichten und ver-
miethete sie für hohe Miethzinse an
reiche Engländer, wodurch sie daS durch die wegfallenden Tanzhonorare ent.
stehende Deficit einigermaßen deckte.
Doch auch diese günstige Sachlage war
nicht von Dauer, die Venetianer Palaste,
die ihr einige Jahre hindurch acht bis
zehn Procent einbrachten, warfen nach
dem Kriege kaum noch zwei bis drei
Procent ab. I n Mailand aber trug man
ihr nach. daß sie österreichische Sym-
pathien hege. Und als man ihr dies
eineS Tages geradezu vorhielt, entgeg«
nete sie offenherzig, „daß sie mit politi«
schen Sym« und Antipathien sich ganz
und gar nicht befasse, aber sie sei in
Wien immer auf daS liebevollste empfan-
gen und behandelt worden, und so sehe
sie denn nicht ein, warum sie ob ihrer
guten und angenehmen Beziehungen zu
den Oesterreichern erröthen solle, bloS
deshalb weil sie Oesterreicher seien, und
einer Partei zu Gefallen, die gar nicht
die ihrige, und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil sie entschlossen sei. zu gar
keiner Partei zu gehören " Seit Jahren
ist von der berühmten Tänzerin nichts
zu hören. Sie lebt, wie erzahlt wird, auf
einer reizenden Villa an einem der ober-
italienischen Seen — man nennt den
Comersee— in ganzlicher Zurückgezogen«
heit, auf die sie durch ihr hohes Alter,
welches die Sprossen der Familie Ta<
gl ion i zu erreichen pflegen, angewiesen
ist. Es ist wohl über wenige Tänzerinen
— vielleicht dieElSler ausgenommen
— so viel geschrieben worden, wie über
dieTa gl ioni , und für eine Geschichte
der modernen Tanzkunst sind die Ur»
theile, welche L. A. F r a n k l und
M. G. Saphi r seinerzeic über Fanni
E l s l e r und M a r i a T a g l i o n i
gefällt haben, immerhin beachtenswerth.
Ersterer schreibt: /Die Tag l ion i tanzt
wie eine Göttin, die ElSler mensch«
lich schön. Es scheint, ats könnteti oie
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Tabacchi-Terkla, Band 43
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Tabacchi-Terkla
- Band
- 43
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1881
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 320
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon