Seite - 112 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Ullik-Vassimon, Band 49
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an einen anderen Künstler, an den all-
bewunderten Seydelmann erinnerte,
mit dem sie diesen Mangel theilte. Und
eben er war es, der den Eltern Berthas
im Jahre 1842 zu dem glanzenden ersten
Erfolge des Stettiner Gastspiels glück-
wünschte. Als nun diese über das nicht
gerade vorzügliche Organ der jungen
Dilettantin klagten, that Seydelmann
die zutreffende Aeußerung: „daß ihr
dann freilich nur der trostlose Ausweg
bleibe, eine große Künstlerin zu werden".
Nach einer mehr als vierjährigen Thätig-
keit erschien sie zum letzten Male, am
21. November 4834, in der Rolle der
Titania im „Sommernachtstraum"
auf der Bühne. Noch im folgenden Mo»
nate kam das Brustübel, dessen Keime in
ihr geschlummert, mit einem heftigen
Blutsturz zum Ausbruch. Nun wieder-
holten sich diese Anfalle öfter. Unter
solchen Umständen sah sich Bert ha ge»
zwungen, ihren Antrag auf Pensionirung
einzureichen. Wohl wurde ihr die sorg-
faltigste Pflege zutheil, aber diese ver-
mochte das Uebel nicht zu bannen, dem
sie nach einiger Zelt im Alter von
35 Jahren erlag, ihrem Gatten ein sechs-
jähriges Mädchen hinterlassend. Während
ihrer zwölfjährigen Bühnenthätigkeit trat
sie 848 Male auf, und zwar in 175
theils dem tragischen, theils dem Lust-
spiel-Fache angehörenden Rollen. Ihre be-
deutcndsten Leistungen waren: Ophelia
in „Hamlet", Jul ia in „Nomeo und
Julia", Emilia Galot t i , Recha in
„Nathan der Weise", Beatrice in „Die
Braut von Messina", THe l la in
„Wallensiein", Lady Mi l for t in „Ca-
bale und Liebe", Prinzessin Eboli
und Königin Elisabeth in „Don
Carlos", K lärchen in Goethe's
„Egmont", M a r i e in dessen „Cla-
vigo", Elmire in „Tartüffe", Clara in Hebbel 's „Maria Magdalena",
Jul ie in Gutzkow's „Herz und Welt",
Armande in dessen „Das Urbild des
Tartüffe", Judith in dessen „Uriel
Acosta", Prinzessin Wilhelmine in
dessen „Zopf und Schwert", Königin
Mathi lde in Laube's „Struensee",
Frau Gottsched in dessen „Gottsched
und Geliert", Gräfin Francisca
von Hohenh eim in dessen „Die Karls'
schüler", Io lanthe in „König Renö's
Tochter", Leonore in Holte i's gleich»
namigem Drama, Marion in der „Mar»
quise von Billette" u. a. Ist dies ein
todtes Verzeichniß, so erwacht es doch
gewiß vor den Augen dessen zum Leben,
der einmal Zeuge war, wenn die Künft»
lerin der einen oder der anderen der ge«
nannten Gestalten Dasein von ihrem
Dasein, Geist von ihrem Geiste verlieh.
Wer aber ihr Gretchen in „Faust",
ihre Francisca in „Götz von Ber-
lichingen", ihre Professorin in „Die
Hochzeitreise", Leopold ine in „Der
beste Ton", Frau Bürger in Mosen»
thal's „Ein deutsches Dichterleben",
Karoline in „Ich bleibe ledig" und
endlich ihre Valentine in Freitag's
gleichnamigem Lustspiele, Rollm, die sie
geschaffen, sah, der wlrd sich ohne Ueber-
treibung sagen, daß er in diesen Rollen
keine Künstlerin mehr gesehen, die ihr
darin gleich gekommen wäre. Wie vor«
stehende Uebersicht darthut, war ihre
Leistungsfähigkeit, ungeachtet ihr Organ
keine allzu große Kraft und keinen ganz
vollen Metallgehalt deS Tones besaß,
ein Umstand, der mit ihrer zarten Körper»
constitution im Zusammenhange stand,
doch eine ungewöhnlich große. Mit den
Vorzügen einer Bildung, welche in ihrer
Art selten zu finden, vereinte sie ein tief
poetisches und genial schöpferisches Na-
turell, überhaupt ein Talent, wie es als
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Ullik-Vassimon, Band 49
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Ullik-Vassimon
- Band
- 49
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1883
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 348
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon