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Venus, Michael 108 Venus. Michael
im Jahre 1777 von Kaiser Joseph in
Paris den Auftrag erhielt, sich bei Abbö
de l 'Epee die Methode des Taub-
stummenunterrichts eigen zu machen,
zum praktischen Taubstummenlehrer her-
an. Im Jahre 4804 wurden Venus
und Drack zu gemeinschaftlichen Vor>
sichern der Hauptschule am Bauernmarkt
ernannt, von welcher May bereits 1792
in Folge feiner Berufung zum Director
des Wiener k. k. Taubstummeninstitutes
geschieden war. Die Umsicht und rastlose
Thätigkeit, welche die zwei Genannten
bei der Leitung der ihnen anvertrauten
Schule entfalteten, verschaffte auch der-
selben alsbald einen ausgezeichneten Ruf,
der sich noch, wie Schreiber dieses selbst
erfuhr, bis in die Fünfziger-Jahre un-
geschmälert erhalten hat. Um eben die»
selbe Zeit trat Venus mit mehreren
hervorragenden Gelehrten und Pädago«
gen in engere Verbindung, unter An»
deren auch mit dem berühmten Phreno«
logen Franz Joseph Gal l ^Bd. V,
S. 63^, der damals Arzt des k. k. Taub-
stummeninstitutes war. Mit Gal l ver>
eint machte er nun häusige Beobach»
tungen und Untersuchungen an Voll»
sinnigen wie an Taubstummen, wodurch
er sich bei der ihm eigenen scharfen Beob-
achtungsgabe ungewöhnliche medicinische
und psychologische Kenntnisse erwarb,
welche I)r. Gal l in einem seiner stark
besuchten Vorträge öffentlich anerkannte,
indem er Venus als einen Pädagogen
bezeichnete, der mit seltenem Scharfblicke
die Seelenkräfte der Menschen erkenne
und beurtheile. Als dann Michael Wein-
berger, damals Zeichenlehrer und Rech«
nungsführer im k. k. Taubstummeninsti-
tute den Anstrengungen seines Berufes
erlag, wurde Venus zunächst als dessen
Supplent an die Anstalt berufen, dann
aber, als Weinberger im Jahre 1809 ! starb, zu deffen Nachfolger im Amte
ernannt. Hier beginnt nun ein neuer
Abschnitt im Leben dieses verdienstvollen
Pädagogen. Seine ganze Thätigkeit
widmete er einer Menschenclasse, deren
Leiden die Seelenkrafte eines denkenden
Pädagogen in nicht gewöhnlicher Weise
anspornen, und zwar um so mehr zum
Denken anspornen, als manche damit
verbundenen Erscheinungen ebenso räthsel-
haft als geheimnißvoll erscheinen. Für die
Menge, die zum größeren Theile theil-
nahmslos daran vorbeigeht, gewinnt die
Sache freilich nicht jene Bedeutung,
welche sie für den Pädagogen hat und
findet daher auch kaum eine entsprechende
Würdigung. Ueberdies waren die Ver»
hältnifse an der Anstalt, als Venus an
dieselbe kam, nach keiner Seite hin
günstig und befriedigend. Die intellek-
tuellen Zustände ließen viel zu wünschen
übrig, mit den sinanciellen Verhältnissen
aber stand es so im Argen, daß er im
Jahre 1811 bei wohlhabenden Freunden
für die Anstalt Geld ohne Interessen
aufnehmen mußte, um die nothwendigsten
Nahrungsbedürfnisse für die Zöglinge an-
kaufen zu können. Allmälig nur besserten
sich diese Zustande und erreichten später
einen Standpunkt, welcher die Anstalt
zu einem Musterinstitute ihres Gleichen
erhob. 1820 starb Joseph May , und
Venus wurde an dessen Stelle zum
Director ernannt. Durch sein Methoden-
buch über den Unterricht der Taub»
stummen hatte er dieser Wissenschaft den
mächtigsten Vorschub geleistet. Nun ging
es Schritt für Schritt in der Vervoll,
kommnung des Taubstummenunterrichts,
und Director Venus gebührte mit seinem
im Jahre 1833 erschienenen Unterrichts-
buch für die Tonsprache der Taubstummen
der wesentlichste Antheil daran. 39 Jahre
hatte er auf pädagogischem Gebiete und
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vastag-Villani, Band 50
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Vastag-Villani
- Band
- 50
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1884
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon